Kreatives Schreiben im DU 4 – „Kurzgeschichten“, Stream of Consciousness

Der böse Gong. Lästig. Nicht zu überhören, auch wenn ich es gern würde. Wie kann ich den Gang in die Klasse nur verzögern? Vielleicht noch mal auf Klo? Das kann man einem ja nicht verbieten. Mist, da geht der Chef rein. Toll, geh ich halt zur Treppe.Wie üblich um diese Uhrzeit an diesem Tag blendet mich die Sonne auf dem Weg nach oben. Verdammt, besser kann’s ja kaum werden. Ich ergebe mich. Teste kurz meine Gesichtsmuskeln, um irgendeine Art von Lächeln hervorzubringen. Tut ein bisschen weh. Habe aber gerade schon die 5. überlebt, dann wird ja wohl die 10. ein Spaziergang werden.

Mittwoch, 6. Stunde. Ich betrete ein Klassenzimmer in Deutschland.

Wow. Wie üblich reagiert keiner. Ich gehe vor, zwei, drei Blicke folgen mir, eher müde. Viele Gespräche, ich versuche sie zu ignorieren. Alles andere wäre sowieso völlige Energieverschwendung. Tasche abstellen, Klasse begrüßen, alles eins – dieselbe Reaktion: keine. Was soll’s. Dafür habe ich studiert. Heine gelesen. Becker gelesen. Brecht. Graf. Brussig. Alle gelesen. Heym-Gedichte analysiert. Allein meine Abschlussarbeit über die Romane von Max Frisch. Alles getan. Einzig für diese Stunde.

Und ich unterrichte The Walking Dead.

Habe den Anfang einer Kurzgeschichte dabei – also neue Perlen für die hier. Will ihnen zeigen, wie leicht es sein kann, eine Geschichte zu schreiben. Es kann ja so Vieles so leicht sein.

Wie üblich komme ich kaum durch die Gänge zwischen den Tischen. Taschen liegen dort, Jacken, Müll – überhaupt der Müll. Ich fühle mich wie am Stadtrand von Kalkutta. Wäre ein gutes Thema für die Kurzgeschichte.

Ich teile weiter aus, denjenigen, die wieder mit dem Kopf daliegen, lege ich das Blatt auf den Kopf.  Wie toll: es liegt lange dort, ohne hinunter zu fallen.

Die Reihe hinten liegt wieder im Stuhl an der Wand, streckt mir ihren Genital- und Gebärbereich entgegen. Woran erinnert mich das jetzt?

Komme mit meinen Gedanken nicht zu einem Ende. Unterbreche schnell noch die Dauerredner auf der anderen Seite –entschuldige mich natürlich dafür. Bin ja höflich.

So alle Blätter sind verteilt, ich schreibe was an die Tafel. Es kommt endlich Leben in die Klasse. Typisch: Lehrperson egal – aber von der Tafel muss abgeschrieben werden. Ich füttere die Bande und zitiere leise ein paar Zeilen von Enzensberger.

„So, guten Morgen, liebe 10.“ Heute möchte ich mit euch kreativ aktiv werden. Auf den Blättern findet ihr eine Kurzgeschichte – oder den Anfang davon. Eure Auftrag ist es nun, diese Geschichte noch einmal neu aus eurer Perspektive zu schreiben. Ganz einfach, was?


So soll es aussehen. Der Arbeitsauftrag ist klar. Andere Impulsgeschichten können natürlich weniger provokant sein.

Ich habe dies vor etwa 3-4 Jahren schon mal gemacht. Damals kamen, soweit ich mich erinnern kann, ziemlich gute Ergebnisse heraus. Ich meine sogar, dass hier irgendwo noch welche rumliegen. Morgen mache ich das in einer zehnten Klasse, die ich gern mit ein paar Kurzegschichten an einem internen Wettbewerb teilnehmen lassen möchte. Da sie bisher etwas unsicher sind, was das Schreiben angeht, versuche ich es so. Vielleicht kann ich sie dazu bringen, ein paar Ergebnisse ins Netz zu stellen.

Logisch mache ich mich zum Zentrum der Geschichte, weil ich ein brutaler Selbstdarsteller bin. ich mich so absichtlich in den Fokus stelle und sie nicht unbedingt darauf kommen müssen, andere Kollegen durch den Kakao zu ziehen. Außerdem kann ich so eher wieder diese Mobbinggeschichte vermeiden, da sich die Schreibereien wohl auf mich konzentrieren werden – wenn sie mir ausreichend vertrauen, was ich glaube. Bin gespannt.

Didaktik, bitte sehr:

  • Identitätsbildung, durch a) nach innen gerichteten Blick und b) Ausdruck eigenen Bewusstseins und c) Vorstellung der Gruppe, in der sich der Schüler bewegt
  • Empathieförderung durch das Einfühlen in seine Mitschüler / Lehrer
  • Schreibbildung durch Erlernen und Üben einer Schreibtechnik

Also gut, ist gelaufen. Waren zwei schöne Stunden, die wir mit Schreiben verbracht haben. Morgen gebe ich noch die Ergänzung, habe es spontan noch erweitert.

Es sind schöne Geschichten dabei herausgekommen. Zwei habe ich mit nach Hause genommen. Andere gelesen. Wie der andere wurden vorgelesen. Manche waren wieder überrascht, in so kurzer Zeit so viel zu Papier zu bringen.

Für eine Geschichte habe ich die Erlaubnis, sie hier zu veröffentlichen. Also bitte:

Der erlösende Gong! Wieder eine Stunde vorbei. Der Blick auf den Stundenplan. Verdammt, noch drei endlos lange Stunden bis das rettende Wochenende da ist. Naja wenigstens kein Mathe. Dafür Sozialkunde, wo wir bestimmt eh wieder irgendwas für Deutsch machen müssen. Egal, Augen zu und durch. Ist ja eh das letzte Jahr, hoffentlich. Ich gehe zu meinem Platz in der letzten Reihe, knalle meine Tasche auf den Boden und kippe meinen Stuhl an die Wand. Dies tue ich nicht, um  zu provozieren – nein, das wäre mir den Aufwand nicht wert – nur ist das die bequemste „Stellung“, um den quälend langsam vergehenden Unterricht zu überstehen. Und da kommt auch schon mein Deutschlehrer, an seinem GEsicht erkenne ich, dass er genauso wenig Lust auf die Stunde hat wie wir. Aber er wird dafür bezahlt. Eigentlich ungerecht. Aber wenn man bedenkt, er hat ja schließlich dafür studiert. Heine gelesen. Heym Gedichte analysiert und so weiter – arme Sau. Und er vertauscht wieder mal Deutsch mit Sozialkunde, wie vermutet. Ein paar Leute stört das , aber mir ist das total egal. Ob vierte oder sechste Stunde – durch muss ich sowieso. Und es gibt Schlimmeres – z.B. Mathe. Ich sollte langsam aufpassen, jetzt teilt er so ein Blatt aus. Hoffentlich was Interessantes, nicht so langweilige Arguemnte. Eine Kurzgeschichte über seinen Tag und seine so schlimme 10. Klasse. Wie tragisch. Und dann kommt die einstudierte Begrüßung. Wie ich das hasse. Und dann ist die Geschichte auch noch ein versteckter Arbeitsauftrag. Naja, gar nicht so blöd.

Die Geschichte aus meiner Perspektive erzählen? Ob das so einfach ist, wie es klingt? Egal, ich heule einfach auch ein bisschen rum, dann wird das schon irgendwie.

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