5 Minuten Schulleitung – Der Feind sitzt oben

Im Sozialkundeunterricht verwende ich oftmals folgende Definition der Sozialen Rolle:

„Die Soziale Rolle ist die Summe aller Erwartungen, die innerhalb einer Gruppe an den Inhaber einer sozialen Position gerichtet werden.“

Ich erkläre dann weiter, dass sich die Erwartungen an das Aussehen, die Kleidung, das Verhalten und sogar an die Sprache richten können. Weiterhin orientieren sich die Erwartungen logischerweise an Traditionen der Gesellschaft. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, ob nun bewusst oder unbewusst, folgen Sanktionen der Gruppe – i.d.R. so lang bis das gewünschte Verhalten wieder hergestellt wurde.

Als Beispiel fungiert dabei der Junglehrer, der zu Beginn seiner Karriere manchmal zu nachsichtig mit den Schülern ist, vielleicht sogar etwas kumpelhaft. Die Schüler ihrerseits strafen solches Verhalten recht unbarmherzig, denn, logisch, sie wollen einen Lehrer, Kumpels haben sie selbst genug. Sie strafen auch, so meine Deutung, weil sie verunsichert sind. Wenn der Lehrer seine Rolle nicht einnimmt, wird natürlich auch die Schülerrolle obsolet. Kinder im schulfähigen Alter aber benötigen Rollenmuster, um ihre eigene Identität zu entwickeln. Wird ihre wachsende Identität verunsichert, reagieren sie sehr stark.

Die Rolle ist somit aber eben auch nicht so fest wie man sie vielleicht erwarten mag. Jeder hat innerhalb seiner Sozialen Gruppe die Aufgabe, die Rolle zu übernehmen, aber gleichzeitig auch, sie auszugestalten. D.h. er übernimmt sie und formt sie individuell aus. Die Fachbegriffe dafür sind roletaking und rolemaking.

Was im Kern also gesagt werden kann: Wer oder was wir sind, wird nicht unerheblich von unserer Umgebung bestimmt – aber wir sind nicht nur Opfer der anderen. Kein Lehrer, so das Beispiel, ist wie der andere.

Exkurs: Aus dieser Sicht ist der Schüler übrigens ein sozialer Profi, der seinesgleichen sucht. Man stelle sich das nur mal vor: An einem durchschnittlichen Tag ziehen 6 und mehr Lehrer an ihm vorbei und er kann sich innerhalb von Sekunden auf die unterschiedlichste Ausgestaltung der Rolle Lehrer einstellen.

Banales Küchenwissen mag mancher sagen. Übrigens nicht für den brlv (Bayerischer Realschullehrerverband), für dessen Hauptschreiberlinge schulischer Erfolg hauptsächlich durch angeborene Intelligenz bestimmt wird. Und daran kann man ja nichts ändern. Schade eigentlich. Egal.

Ich sage meinen Schülern jedenfalls, dass ich diese Theorie selbst sehr spannend und hilfreich für den Alltag einstufe. Und dass sie nicht nur auf Schulklassen, sondern auch auf Lehrerkollegien anwendbar sind.

Mir z.B. fällt damit im Hinterkopf oft der Blick auf die sogenannte Realität leichter. Ich kann mich in schwierigen, konfliktgeladenen Situationen leichter distanzieren und die Entfernung zur Situation vergrößern, indem ich sie als sozusagen „nicht persönlich“ einstufe. Auf einer dienstlichen Ebene lässt sich gelassener arbeiten.

Man agiert eben in und aus (s)einer Rolle heraus, da wir alle bestimmte Erwartungen aneinander richten, die wir erfüllt sehen möchten. Manchmal wird es schwierig, vor allem, wenn widersprüchliche Erwartungen an einen Rolleninhaber gerichtet werden. Man spricht dann von Rollenkonflikten (es werden Inter- und Intra-Rollenkonflikte unterschieden).

Bei Inter-Rollenkonflikten dreht es sich um Konflikte, die zwischen den verschiedenen Rollen entstehen können, die wir in unseren Leben einnehmen (Der Lehrer, der seine Schulaufgaben sehr gut korrigiert abgeben will und die Ehefrau, die böse ist, weil der Ehemann so lang am Schreibtisch sitzt).

Intra-Rollenkonflikte heißen sie, wenn es um widersprüchliche Erwartungen an den Inhaber einer Rolle geht.

Da erwartet die eine Seite, dass man ihnen alles auseinandersetzt und erklärt, nicht einfach auf Aushängen bekannt gibt. Sie mag es nicht, einfach bestimmt zu werden. Sie will, dass man drüber redet. Und es gibt die andere Seite, die bemängelt, wenn zu wenig „bestimmt“ wird – wenn kein „Machtwort“ gesprochen wird. Wenn nicht gesagt wird, wo es lang gehen soll.

Am Ende aber sitzt der Feind der Depp immer oben. Das ist gut so. Hilft gegen die Rollenunsicherheit.

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