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Karl-Markus Gauß: Zu früh, zu spät. 2 Jahre.

zu_frueh_zu_spaet-9783423346030Vor Weihnachten meiner Mutter erklärt, wie die Amazon-Wunschliste funktioniert. Nachdem sie diese studiert hat, bekam ich ein Buch geschenkt, dessen Titel mir nicht viel sagte.  Auch warum ich es vor so vielen Monaten überhaupt auf diese Liste gesetzt hatte, war mir nicht mehr klar.

Das Lesen aber war ein Erlebnis. Essays aus den Jahren 2003 und 2004. Dabei die, wie ich finde, große Kunst, die eigene Person des Autors selbst immer wieder mit leichter Erzählweise an die Ereignisse „großer Politik“ und der Zeitgeschichte anzuknüpfen. Dabei Einblicke in Literatur zu gewinnen (hier auch vor allem österreichische Vertreter, u.a. Jean Améry, den ich nie als österreichischen Schriftsteller sah, aber zugegeben auch nur seinen Diskurs über den Freitod gelesen habe), indem man einen unglaublich belesenen Mann quasi zuhört. So wird eine Spannbreite erzeugt, die von nächtlicher Schlaflosigkeit, Eitelkeit beim Lesen der Rezensionen eigener Werke ausgeht und bis hin zu den Plünderungen des irakischen Nationalmuseums in Folge des Zweiten Irak-Krieges 2003 reicht. Es geht um eine Reportage der Lage der Roma in der Slowakei, um die Folterungen von Abu Ghraib, den Kapitalismus und die österreichische Bildungsministerin, die sich über die Lehrer beklagt, dass sie zu viel Ferien hätten und –  na, sie kennen das.

Darin finden sich weiterhin Repliken zu Berlusconi, Bush, Blair, Rumsfeld. Besprechungen von Theateraufführungen, wie z.B. eine wunderbare vom „Woyzeck“ im Salzburger Landestheater, flankiert von dem Hinweis, dass man in Salzburg den Sommer an den Bettlern erkennen kann. Oder besser gesagt: „Wenn der große amtliche Sommerputz sie aus der Innenstadt und von den vielen Plätzen gewischt hat, an denen sie knieend, kauernd, hockend aggressiv gebettelt hatten, dann ist, nein, dann herrscht wieder die schöne Jahreszeit.“

Und immer wieder geht es um Literatur. Und seit sehr langer Zeit habe ich mir wieder einen Bleistift ins Buch gelegt, um zu unterstreichen, Ausrufezeichen zu verteilen und mehr. Und bei allem Chaos, den ich hier grad ausschütte, schafft es der Autor immer wieder Zusammenhänge zu knüpfen, Überleitungen zu schaffen, die mindestens überraschen.

Ich musste die ganze Zeit an zwei andere Werke denken, die einen enormen Eindruck in meiner Lesebiografie auf mich machten und die ähnlich angelegt waren, vielleicht, aber mindestens in meinem Kopf waren:

  • Die Welt von gestern von Stefan Zweig
  • Der Wendepunkt von Klaus Mann

Alle drei aber haben mir Lust gemacht mehr zu lesen.

 

2 Kommentare

  1. K.M.Gauß lese ich schon lange, habe auch schon öfter im Blog darauf hingewiesen. Sehr lesenswert sind seine Reiseberichte über verschwindende Minderheiten in Europa.
    Probieren Sie doch auch mal Oliver Sacks, z.B. The Man Who Mistook His Wife For A Hat.
    Großartige Fallbeschreibungen.

    • tommdidomm

      Oh, da werde ich bei dir ein wenig recherchieren :). Und ja, Sacks kenne ich auch. Als der Film damals mit Williams und de Niro rauskam (Zeit des Erwachens) habe ich immer wieder gern sein Berichte gelesen.

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