Lernen #bloggerfuerfluechtlinge

Damals

Es war etwa 1977/78, vierte Klasse oder so. Die Klassenzimmertür ging auf und unsere Lehrerin brachte einen neuen Schüler mit. Dimitrios. Am Abend vorher aus Griechenland gekommen, heute schon in der Schule. Fand ich damals krass. Da neben mir ein Platz frei war, schlug ich vor, dass er dort sitzen könnte, ich würde ihm helfen. Das tat ich auch.

In unserer Klasse saßen Portugiesen, Italiener, Spanier. Die Schule war katholisch. Der Stadtteil ein alter Hamburger Arbeiterstadtteil, das heißt es gab auch jede Menge Lipinskis, Wisniewskis, Schimanskis. Schlesier, Ost- und Westpreußen, Sudeten. Ich kann mich kaum erinnern, dass es anders als normal war. Türken gab es auch schon. Ich erinnere mich, dass man das Viertel um den Bahnhof herum, das „Türkenviertel“ nannte.

Dimitrios war ein riesiger Kerl, ich eher der kleine Streber. Das rechnete sich später einmal, als ich im Freibad irgendwie Stress mit komischen anderen Kindern bekam. Dimitrios sah das von fern und kam mal vorbei. Da er alle Kinder deutlich überragte, war das Problem schnell gelöst.

Heute

Schon im Juli musste ich für meinen Chef einen offiziellen Termin wahrnehmen, im Rathaus. Treffen des Unterstützkreises Flüchtlingshilfe. Der Bürgermeister wollte informieren über die Außenstelle Zirndorf in unserem (Schul-)Ort, eine Erstaufnahmestelle in einem ehemaligen Altersheim. 100 Menschen sollten kommen in einem ersten Anlauf.

Anwesend war auch eine Dame, die schon an anderer Stelle organisatorische Unterstützung gab an Arbeitskreise, die sich um Flüchtlinge vor Ort kümmern wollten. Entsprechend kam es an jenem Tag zu einer schnellen Begründung von drei Arbeitskreisen: Deutschlernen/Dolmetscher, Freizeitgestaltung, Betreuung (z.B. Ämter oder Arztbesuche). Ich schrieb mich beim Deutschlernen ein, was so eigentlich nicht geplant war. Aber schon nach zwei Wochen stand ein erster Kurs, in dem sich 14 Menschen zusammengefunden hatten, die nun mehrfach in der Woche den Flüchtlingen, die wollten, erste Grundlagen der deutschen Sprache vermittelten. Seit 6 Wochen läuft es.

Mein Part dabei ist einmal die Woche 90 Minuten mit drei anderen Unterstützern die Stunden (immer ein Paket von 90 Minuten) zu halten. Außerdem pflege ich ein Forum im Internet über eine eigene Domain, über das wir uns organisieren und kommunizieren – z.B. über das, was wir gemacht haben, über Anzahl der Lerner oder den Wechsel im „Altersheim“. Mit einer Schulorganisation im Rücken versuche ich noch andere Dinge zu organisieren – versuche vor allem, mich nicht allzusehr vorzudrängen. Lehrer sind ja manchmal so.

Erkenntnisse

Der Unterstützerkreis, an dem ich beteiligt bin, besteht aus Personen im Alter von 18 bis (sicherlich) 60 Jahren, vielleicht älter (man möge verzeihen, falls ich übertreibe). Dieser Personenkreis hat sich innerhalb von zwei Wochen in das Forum eingetragen und nutzt es seitdem aktiv. Ich versuche parallel Materialien über Google Drive bereitzustellen, auch das wird angesprochen. Emails werden in der Regel innerhalb von Stunden beantwortet.

Wenn ich das vergleiche mit dem, was im engeren Schulbereich unter Kollegen läuft, bin ich baff erstaunt. Einfach so.

Ich erlebe hautnah das mit, was man gern als bürgerliches Engagement bezeichnet und bin ebenso erstaunt, wie gut und schnell und selbstverständlich das läuft.

Und ich treffe jede Woche einen Haufen Menschen, mit denen ich mich oft nur schwer verständigen kann. Bei denen ich verzichten muss auf langatmige Vorträge und differenzierte Ausführungen. Bei denen alles einfach laufen muss. Und einfacher läuft.

Ich gehöre nicht zu denen, die schnell und einfach Kontakt finden oder die sich leicht tun im Zusammenkommen mit fremden Menschen – und so gehe ich oft mit ein wenig Bauchgrimmen und Lampenfieber zu meinen Deutschstunden.

Und doch: Ich lache viel mit Menschen aus dem Irak, aus Syrien, Dschibuti, Äthiopien, Afghanistan, Albanien, der Ukraine und Weißrussland. Versuche mir ihre Namen zu merken, auch wenn sie nur drei Wochen da sind. Schnappe ein paar Worte in mir fremden Sprachen auf. Und es geht uns allen, hoffe ich, ein bisschen gut dabei.

choch – der Pfirsich. Geschrieben xox, wie ich grad ergoogelt habe. Und sef – der Apfel. Oder eher: sêv .

Das war kurdisch.

2 Antworten auf „Lernen #bloggerfuerfluechtlinge“

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