Deutsche Leitkultur, Gedichte, Staatsanwaltschaft

Ohne dass ich es vertieft verfolgt hätte oder spezielle Sympathien hege, aber ich fühlte mich erinnert.

XVI

Der Wechselbalg

Ein Kind mit großem Kürbiskopf,
Hellblondem Schnurrbart, greisem Zopf,
Mit spinnig langen, doch starken Ärmchen,
Mit Riesenmagen, doch kurzen Gedärmchen –
Ein Wechselbalg, den ein Korporal,
Anstatt des Säuglings, den er stahl,
Heimlich gelegt in unsre Wiege –
Die Mißgeburt, die mit der Lüge,
Mit seinem geliebten Windspiel vielleicht,
Der alte Sodomiter gezeugt –
Nicht brauch ich das Ungetüm zu nennen –
Ihr sollt es ersäufen oder verbrennen!

 

Vom deutschesten aller Dichter: Heine.

Deutsche Leitkultur im Reinsten. Ein Gedicht, das zwei Majestäten auf einmal beleidigt. In diesem Fall Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und seinen Vater Friedrich II. (ja, der angeblich Große). Der eine wird als Missgeburt beschrieben, der andere als Sodomist. Zum Abschluss noch der Aufruf zu Mord und Totschlag.

Ich bin nicht sicher, was hier mehr deutsche Leitkultur ist: Das Gedicht – oder die Tatsache, dass Heine zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren nicht mehr in Deutschland lebte und ein preußischer Haftbefehl auf seinen Namen existierte, so dass er bei der nächsten Einreise verhaftet werden sollte. Seine Werke waren verboten, nicht nur die schon existierenden, sondern auch die noch nicht geschriebenen.

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