15 Jahre Schulleiter – öffentlich reden

Anlass: Zeugnisübergabe an AbschlussschülerInnen

Ort: Turnhalle der Schule

Zeit: Mitten am Tag

Vorbereitungszeit: eine Woche, erste und einzige Version aufgeschrieben 16 Stunden vorher

Hintergrund: Wollte eigentlich die vom letzten Jahr nehmen, die ich im Drucker vergessen und völlig schräg improvisiert habe. Wäre keinem aufgefallen. Aber meine Ehre stand mir im Weg. Also arbeitete ich den Gedanken neu aus.

Beim ersten Durchgang (Hygienekonzept erlaubte uns zwei Durchgänge) hatte ich das Skript zwar dabei, aber auf dem Stuhl vergessen als ich auf die Bühne ging. Es ist zum Erbrechen. Also improvisierte ich. Diesmal jedoch inhaltsgleicher. Im zweiten Durchgang ließ ich Sophie Passmann weg. Das ging auch und die version war besser.


Manuskript

Liebe SchülerInnen,

Ich freue mich: Ihr bekommt heute Abschlusszeugnisse, die euch eine Reife attestieren, eine sogenannte „mittlere“, aber eine Reife. Und dies kann euch keiner mehr nehmen.

Liebe SchülerInnen,

Es tut mir leid: Ihr seid noch nicht am Ziel. Dies ist nur ein Durchgangsstadium, welches ihr gebührend feiern dürft und sollt. Und ihr erinnert euch später daran, 100pro, aber ob ihr wollt oder nicht: Es geht noch weiter.

Ich habe in meinem Leben oft den Satz auf Hochzeiten gehört, dies sei „der schönste Tag meines Lebens“. Und ich habe immer still in mich hineingewundert, dass es ziemlich komisch sein muss, wenn ich mit Mitte 20 oder früher schon den schönsten Tag in meinem Leben hatte. Was passiert dann noch im Rest meines Lebens?

Und das Leben? Ja, das Leben! Das ist so groß, dass es Platz hat für eine Unmenge an Partys, an Lachen und Glück – ebenso wie alles andere. Und letztlich kommt es doch immer so anders.

Ich bin alt, ich darf eine Geschichte aus meinem Leben erzählen. Wie ich es geschafft habe, dass ich im August ins Paradies fahre.

Und die Geschichte dazu geht so. Ich habe 1989 Abitur gemacht in der Nähe von Köln. Und ich habe ein richtig schlechtes Abitur gemacht mit einem Schnitt jenseits von 3,0 und nur weil eine Englischlehrerin Mitleid mit mir hatte – Danke!!! Es gab nur noch einen, der hieß auch Thomas, der hatte ein noch schlechteres Abitur. Mit dem bin ich in eine WG gezogen zum Studieren. Heute ist er Rechtsanwalt in Köln und ich, naja, ich bin halt ich. Schulleiter in Bayern. YOLO.

Es gab eine Schülerin bei uns, die ein sehr gutes Abitur gemacht hat. Damals mit einem Schnitt von besser als 1,0. Das geht, ja, wenn man besonders gut ist. Selbstredend hatte ich mit ihr an der Schule nichts zu tun. Andere Liga, ganz eindeutig. Ich stand ständig in der Raucherecke oder schwänzte mal die Schule. Sie war woanders. Es gab absolut keine Berührungspunkte.

Mehr als 30 Jahre später findet ein Abitur-Jubiläumstreffen statt und wir kommen ins Gespräch. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Berlin und ist Kirchenmusikerin. Wir tauschten unsere Lebensgeschichten aus und nach so langer Zeit hatten wir uns plötzlich was zu sagen.

Und nachdem ich ihr von meinen Erfahrungen und Erlebnissen als Schulleiter erzählt habe, erzählt sie mir von ihrem Paradies, in welches sie sich regelmäßig mit der Familie zurückzieht – einem Camper auf der Insel Rügen. Und sie sagt zu mir: Komm nach Berlin, wenn die Sommerferien hier vorbei sind und ich gebe dir den Schlüssel. Und dann verbringst du einige Zeit im Paradies.

Wer kann so ein Angebot ablehnen?

Was ich euch sagen will: Hier und heute ist nichts zuende, nicht in eurem Leben nicht mit den Menschen, die euch umgeben. Hier fängt’s erst richtig an. Und vielleicht ist nicht alles möglich, aber doch mehr als ihr euch jetzt vorstellen könnt. Freut euch drauf.

Und am Ende lasse ich die große Philosophin Sophie Passmann dazu sprechen:

https://www.instagram.com/p/CCqBieBip5a

4 Antworten auf „15 Jahre Schulleiter – öffentlich reden“

    1. Vielen Dank – auch für das Wiederlesen. Irgendwann stehe ich mal vor eurer/deiner Tür und frage u.a., wie du hergefunden hast.

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