5 Minuten Schulleitung – Osterferien

Gestern mit jemandem telefoniert, der bekannte, dass er meine Rubrik „5 Minuten Schulleitung“ so gern liest. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt – ich widme ihm den heutigen Beitrag.

Wir schlafen hier gerade seit Beginn der Ferien jeden Morgen lang, weil wir platt sind. Das ist nur so aufregend, weil unsere Nachbarn uns eigentlich als Frühaufsteher kennen, auch in den Ferien – sie sehen aber auch nicht meine Nachmittagsnickerchen auf der Couch.

Jedenfalls waren alle Bewohner dieses Hauses noch in Schlafkleidung als es morgens (gegen 10) klingelte. Ich sah aus dem Fenster und einer unser Nachbarn, aus der Parallelstraße, hinten nur an das direkte Nachbargrundstück angrenzend, stand vor dem Gartentor, mit Werkzeug in der Hand. Ein netter Mann, aus dessen Garten die Äpfel kamen, die ich zu Apfelmus verkocht habe im letzten August. Und doch wollte ich ihm nicht in karierter Schlafanzugshose entgegentreten – zudem trug ich ein Oberteil aus der Kollektion einer meiner Abschlussklassen (Sie kennen das: berüchtigte Abschlussshirts und -pullover): Ich wusste in dem Moment auf die Schnelle nicht, ob darauf kopulierende Schildkröten (ach nein, das war 2009), großformatige Wodkaflaschen (2012) oder Drogenpflanzen (2015) abgebildet waren mit den entsprechenden Sprüchen. Unsere Postbotin kennt das schon. Hm.

Mein Frau ging dann raus. Und der Nachbar machte uns drauf aufmerksam, dass der Wind eins der Dachfenster aus dem unausgebauten Dachboden aufgerissen hatte und es grad reinregnete.

Warum ich mich so zierte?

Könnte daran liegen, dass ich seine Enkeltochter wiederholte an meiner Schule in der 6. Klasse vertretungstechnisch unterrichtet habe.

Es gibt auch für mich als stellvertretenden Schulleiter Grenzen.

Karl-Markus Gauß: Zu früh, zu spät. 2 Jahre.

zu_frueh_zu_spaet-9783423346030Vor Weihnachten meiner Mutter erklärt, wie die Amazon-Wunschliste funktioniert. Nachdem sie diese studiert hat, bekam ich ein Buch geschenkt, dessen Titel mir nicht viel sagte.  Auch warum ich es vor so vielen Monaten überhaupt auf diese Liste gesetzt hatte, war mir nicht mehr klar.

Das Lesen aber war ein Erlebnis. Essays aus den Jahren 2003 und 2004. Dabei die, wie ich finde, große Kunst, die eigene Person des Autors selbst immer wieder mit leichter Erzählweise an die Ereignisse „großer Politik“ und der Zeitgeschichte anzuknüpfen. Dabei Einblicke in Literatur zu gewinnen (hier auch vor allem österreichische Vertreter, u.a. Jean Améry, den ich nie als österreichischen Schriftsteller sah, aber zugegeben auch nur seinen Diskurs über den Freitod gelesen habe), indem man einen unglaublich belesenen Mann quasi zuhört. So wird eine Spannbreite erzeugt, die von nächtlicher Schlaflosigkeit, Eitelkeit beim Lesen der Rezensionen eigener Werke ausgeht und bis hin zu den Plünderungen des irakischen Nationalmuseums in Folge des Zweiten Irak-Krieges 2003 reicht. Es geht um eine Reportage der Lage der Roma in der Slowakei, um die Folterungen von Abu Ghraib, den Kapitalismus und die österreichische Bildungsministerin, die sich über die Lehrer beklagt, dass sie zu viel Ferien hätten und –  na, sie kennen das.

Darin finden sich weiterhin Repliken zu Berlusconi, Bush, Blair, Rumsfeld. Besprechungen von Theateraufführungen, wie z.B. eine wunderbare vom „Woyzeck“ im Salzburger Landestheater, flankiert von dem Hinweis, dass man in Salzburg den Sommer an den Bettlern erkennen kann. Oder besser gesagt: „Wenn der große amtliche Sommerputz sie aus der Innenstadt und von den vielen Plätzen gewischt hat, an denen sie knieend, kauernd, hockend aggressiv gebettelt hatten, dann ist, nein, dann herrscht wieder die schöne Jahreszeit.“

Und immer wieder geht es um Literatur. Und seit sehr langer Zeit habe ich mir wieder einen Bleistift ins Buch gelegt, um zu unterstreichen, Ausrufezeichen zu verteilen und mehr. Und bei allem Chaos, den ich hier grad ausschütte, schafft es der Autor immer wieder Zusammenhänge zu knüpfen, Überleitungen zu schaffen, die mindestens überraschen.

Ich musste die ganze Zeit an zwei andere Werke denken, die einen enormen Eindruck in meiner Lesebiografie auf mich machten und die ähnlich angelegt waren, vielleicht, aber mindestens in meinem Kopf waren:

  • Die Welt von gestern von Stefan Zweig
  • Der Wendepunkt von Klaus Mann

Alle drei aber haben mir Lust gemacht mehr zu lesen.

 

Sentimentalitäten

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Das Foto benutze ich neuerdings für die Infoabende a) an den Grundschulen bezüglich des Übertritts an die Realschule und b) letzte Woche zum ersten Mal für die Infoveranstaltung bezüglich der Wahlpflichtfächergruppen in den 7. Klassen – Die Kinder wählen am Ende der 6. Klasse einen Zweig für die 7.-10. Klasse. Es gibt den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Zweig, den kaufmännischen und den dritten Zweig, der aus Französisch oder einem anderen Fach bestehen kann, in unserem Fall Sozialwesen – kann aber auch Werken sein, Haushalt und Ernährung oder Sport.

Diese Wahl ist immer mit viel Aufregung versehen, weil die Eltern unsicher sind, ob man in dem Alter schon sagen kann, was das Kind mal beruflich machen soll. Und meine Aufgabe ist es dann abzuwiegeln und u.a. zu erwähnen, dass man die Entscheidung trifft auf der Basis der aktuellen Interessen des Kindes und dass das keine Entscheidung fürs Leben ist.

Dazu benutze ich dieses Foto. Es zeigt Schüler meiner letzten Klasse, die ich als Klassleitung führte, vier Jahre lang. Es ist einige Jahre alt, Weimarfahrt, aufgenommen im Park an der Ilm, gerade hält einer ein Referat.

Alles Schüler des mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweigs. Ich kenne von einigen die weitere Laufbahn:

  • technischer Journalist
  • Mechatroniker
  • Bankkauffrau und /-mann
  • Vermögensberater
  • Erzieher und Erzieherin
  • Irgendwas Technisches bei Siemens (2x)
  • einer davon nebenbei Rettungssanitäter
  • Diplomsportlehrerin
  • Foto-Model
  • Steinmetz – mittlerweile Meister
  • Sportjournalistin, mittlerweile selbständig mit einer Medienagentur
  • Industriekaufmann
  • Student der Mathematik

Ich denke oft an sie, auch an den, dessen Vater mich ein paar Jahre nach dessen Abschluss anrief, und mir nicht ganz ohne Stolz mitteilte, dass sein Sohn an jenem Tag das Abitur bestanden hatte. Wir hatten vormals viele Gespräche geführt, um über den wackligen Abschluss an der Realschule zu beraten. Mit dem Vater bin ich zur Feier des Tages daraufhin auf den Golfplatz gegangen und wir haben eine schöne Runde gedreht.

Ich bin nicht ganz frei von Stolz oder so, wenn ich das so durchdenke. Nicht, dass ich meine, dass ihr Erfolg irgendwas mit meinem Unterricht zu gehabt hätte (na gut, außer den JournalistInnen vielleicht)(Ach Quatsch), aber irgendwie entdecke ich Sentimentalitäten. Und Gelassenheit, weil ja doch was aus ihnen wird, auch wenn sie keine Hausaufgaben gemacht haben.

Wenn Sie genau das Bild oben genau betrachten, sehen Sie sogar einen, der sich in dieser Zeit auf den Posten eines Zweiten Realschulkonrektors beworben hat. Er fällt Ihnen sicher ins Auge. Ein Jahr später wurde er es dann auch. Das Jahr in dem die Klasse ihren Abschluss machte.

PS: Weil ich grad alte Fotos durchschaute.

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Aboud Saeed: Der klügste Mensch im Facebook / Lebensgroßer Newsticker

3. Januar 2013 um 11:39

Ein Freund fragte mich letztens:

– „Wie kannst du nur ‚Ficken‘ auf deine Pinnwand schreiben?“

– „Mein Freund, wenn man nicht mal ‚Ficken‘ auf seine Pinnwand schreiben darf, warum sollte man dann überhaupt das Regime stürzen?“

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Aus Facebook-Postings ein Buch zu erstellen ist an sich wenig spannend. Spannend wird es aber durch die Tatsache, dass hier ein Syrer schreibt, der mitten in einer Stadt lebt, die gerade von den Fliegern der Assad-Regierung bombardiert wird: Aboud Saeed, ein gelernter Schmied und Schweißer, der mit seinen 7 Geschwistern in einem Zimmer lebt, zusammen mit der Mutter, die weder lesen noch schreiben kann.

Erschienen ist Saeed im Berliner mikrotext-Verlag, der vor einigen Wochen zum Crowdfunding aufrief und ein Abo der (ausschließlich digital) veröffentlichten (Kurz-) Texte anbot. Nachdem ich schon im letzten Jahr aufgrund meinem so wenig wählerischen Umgang mit Kultur Mitglied in der Leonhard-Frank-Gesellschaft/Würzburg wurde, schien mir hier ein wenig Geld gut angelegt.

Eine zweite Veröffentlichung kam nun als erstes Buch des mikrotext-Abos: Lebensgroßer Newsticker. Lakonische Texte als Erinnerungen aus seinem Leben, groteske Erlebnisse und abgedrehte Figuren – oder umgekehrt.

 

PS: Der Online-Foto-Dienst Pixum bietet übrigens eine App an, mit der man seine Facebook Timeline zu einem Buch zusammenstellen kann – und nein, ich glaube nicht, dass es in jedem Fall gewinnbringend ist.

5 Minuten Schulleitung – Das System

Ambiguitätstoleranz – das ist ja das Wort, das mir so durch den Kopf geht seit Monaten. Im engeren Sinne von mir verstanden als die Fähigkeit, die Widersprüche und den Irrsinn in größeren und komplexeren Systemen zu ertragen.

Ich denke da oft an eine Stunde, die, wenn ich es heute recht erinnere, eine hospitierte Stunde einer Referendarin war, die bei uns Mathematik unterrichtete als ich etwa in der 8. Klasse war. Eine Referendarin, die bei uns nicht viel zu lachen hatte und leider Gottes auch nicht viele Möglichkeiten, uns etwas entgegenzusetzen. Alle wussten es, aber es wurde fein Theater gespielt. Und das hat mich in dieser Stunde gefuchst bis irgendwann irgendwas aus mir herausplatzte, nur einen kurzen Moment, nur ein kurzer Satz – der mich später in das Zimmer des Direktors brachte. Und ich habe versucht zu erklären, dass mich das Theater unglaublich geärgert hat, weil es so gar nicht dem Alltag entsprach. Ich weiß nicht mehr, was er mir sagte.

Sicher, Pubertät. Aber ist denn alles schlimm daran?

Bis heute neige ich dazu, zu provozieren, zu sticheln, das Maul aufzutun – manchmal mit guten Argumenten, andermal mit der reinen Lust am Sticheln. Und doch auch immer wieder gern überrascht, wie gut manches zu treffen ist.

So darf ich z.B. keine Praktika mehr absolvieren an dem Gymnasium, an dem ich Abitur gemacht habe. Eine nicht vergessene (Ist das dasselbe wie „unvergessen“?) Abschlussrede und ein Interview in der Schülerzeitung 3 Jahre nach dem Abitur während eines Praktikums reichten da aus. Ich darf hier auf diesem Blog das Wort „Zwangsfortbildung“ in bestimmten Zusammenhängen nicht erwähnen. Ich darf nicht mehr Geschichten erzählen, bei denen mein Name in Verbindung mit bestimmten Institutionen gebracht werden kann. Ich erinnere mich an ein Gespräch, bei dem mir unterschwellig mit einem Anwalt gedroht wurde („Ich habe das einem Freund gezeigt, der Anwalt ist. Der hat mir gesagt, dass man diese Äußerungen auch anzeigen kann.“). In dem Bewerbergespräch für den Zweiten Realschulkonrektor ertappte ich mich irgendwann, wie ich anfing mit dem Gegenüber kritisch über das bayerische Schulsystem zu diskutieren. Der Blick des Beisitzers brachte mich schnell dazu, ein anderes Thema anzuschneiden. Schließlich ist mein schädlicher Einfluss anscheinend so groß, dass ich mittlerweile keine Praktikanten mehr betreuen darf. Und so schließt sich der Kreis.

Natürlich werde ich überschätzt. Gnadenlos.

In meinem Alltag erlebe ich dagegen Dutzende Geschichten mehr in dem Vieleck von Eltern, Schülern, Kollegen, Schulsystem, in denen mir oft innerlich die Toleranz entgleitet. Aber eben innerlich.

Zwei positive scheinende Entwicklungen mache ich dabei offenbar durch. Erstens gelingt es mir immer mehr, innere Distanz zu diesen Widersprüchen aufzubauen und zweitens damit nach außen wahrscheinlich auch professioneller zu wirken. Im Endeffekt frage ich mich aber, ob dies noch Toleranz ist oder nicht auch schon ein Stück Resignation.

Aber ich schlafe mittlerweile wieder gut.

Komatös in der Regel.