#wasmachteigentlichderchef 21-03-16

Fahrradfahren. Habe gestern gemerkt, dass ich massiv große Bilder hochlade. Muss ich heute mal ändern. Ich lasse Sie mal an einem meiner Wege teilhaben. Und ein paar seltsamen Assoziationen.

Das Schöne am Radeln ist, dass ich viele verschiedene Touren habe mittlerweile, die ich je nach Laune wählen und kombinieren kann. Darüber hinaus sind sie in Kombination dann auch nicht länger oder zeitraubender. Eher kann ich dadurch auch mal hier einkaufen gehen oder dort am Hauptbahnhof im Kolb-Brezen-Shop meine geliebte Breze mit Kalbsleberwurst besorgen. Ohne Parkplatzsuche. Ohne Hektik.

Hier übrigens habe ich entdeckt, dass es wieder die Brezen mit zwei Nürnbergern auf Kraut gibt. Ich habe bisher nicht herausgefunden, wie das auf der Brezen hält. Ich war so überrascht, dass ich vergessen habe, ein Foto zu machen.

Letzte Woche schon habe ich mein Navi am Rad mal den Weg suchen lassen und „kürzeste Strecke“ gewählt. Und ja, ich war schneller als sonst. Aber eben nur auf der Hauptstraße. Dennoch dabei einen Schlenker kurz vor der Schule gemacht, der spannend war, weil er durch Schweinau/St. Leonhard führte, zwei Stadtteile, aus denen viele meiner Schüler kommen. Alte Bausubstanz, bisschen morbider Charme, man würde es vielleicht ein wenig als Scherbenviertel bezeichnen. Aber ich will nicht Städtebaukritiker werden oder was weiß ich. Ich mag diese Gegend. Sollte ich erwähnen, dass hier irgendwo Herr Söder aufgewachsen ist?

Grünstraße vor der Kreuzung Schweinauer Straße
Kirche St. Leonhard in der Schwabacher Straße, Schweinau
Gegenüber Industriegebiet jenseits der Schwabacher Straße

In der Gegend habe ich meinen ersten Alfa Romeo gekauft, leider wurde der Betrieb schon aufgegeben. Es gibt einen Mix-Markt in der Nähe unseres alten Schulgebäudes, also einen russischen Supermarkt, den ich mir mal von SchülerInnen habe zeigen lassen (während einer Doppelstunde *hust* bitte sagen Sie es nicht weiter). Eine Empfehlung war der gesalzene Fisch zum Wodka („gibts bei meinen Eltern immer“).

Außerdem gibt es ein jugoslawisches Restaurant (Restaurant Sarajewo), in dem ich mal zu einem gegrillten halben Schwein eingeladen war. Der TÜV ist in der Nähe, wo immer die Fahrprüfungen beginnen und der Legende nach auch enden, wenn man den Schulterblick beim Verlassen des Parkplatzes vergisst. Bei mir nicht.


Straße der Menschenrechte mit Germanischem Nationalmuseum
Blick von der Rosengasse in die Kühnertsgasse auf die Marientormauer
Und das schon die letzte Steigung vor meinem Schlafdorf

Schule war auch heute. Dienstgespräch Schulaufsicht. Dienstgespräch SPRINT. Emails. Drei Beurteilungen angesetzt. Unterschriften. Gespräche. Ordnungen.

Dann den Fehler begangen, eine Pressekonferenz anzuschauen.

Dann heimgeradelt, Schweinau fotografiert.


In meinem Kopf kullert seit einigen Wochen der Begriff der „Glaubenssätze“ herum. Hatte den schon öfter gelesen und fand das Dahinter ganz interessant, ohne es je mit Inhalt für mich füllen zu können. Finde jetzt auf Anhieb keine Beschreibung im Internet, die ich verlinken könnte, außer das hier, aber auch nur, weil ich die Domain so witzig finde.

Habe neulich aber entdeckt, dass z.B. einige meiner Glaubenssätze waren:

  • Ich werde nie mit dem Fahrrad zur Schule fahren können, weil 22km einfach zu weit sind.
  • Ich kann nie ohne Frühstück aus dem Haus gehen.
  • Ich werde nie Chef sein können.

Auch wenn es derzeit äußerlich nicht den Eindruck macht, aber es geht doch einiges voran.

#wasmachteigentlichderchef 2021-03-15

Fahrradfahren. Ich wusste, es soll regnen oder schneien. Auf dem Hinweg fand ich die Lücke, auf dem Rückweg eher nicht, konnte mich unterstellen, dann kam die Sonne. Aber es bleibt gerade zurzeit das einzige Moment, welches mir etwas bringt. Man mag es interpretieren als die Zeit, in der ich etwas unter Kontrolle habe. In der ich die Richtung vorgeben kann.

Es wird viel Holz gemacht.

Der Plan sah vor, dass wir heute alle Klassen im Wechselformat an die Schule holen. Bisher waren es nur die Abschlussklassen. Die Werte lagen schon am Donnerstag bei 90. Am Freitag lagen sie bei 100,3 (ja, das ist über 100, da können wir quatschen, was wir wollen). Bis 8.30 Uhr hatte ich die Lehrerinfo verschickt, bei der 25% aus Sätzen bestand wie „Genaueres erfahren wir noch“ oder „Es gilt das alte weiter, bis wir neue Anweisungen bekommen“. Eine Klassleiterstunde war angesetzt, den SchülerInnen sollte es erklärt werden. Bis 10 hatte ich den Elternbrief formuliert und wollte ihn grad versenden, als ich die erste Nachricht bekam, dass eine Mail mit der Absage des Unterrichts angekommen sei. Also Vollbremsung und eine Nachricht per Untis an alle Kollegen:


Ich lese in letzter Zeit so viel von Strategie und Konzept.

Hier eine bildliche Darstellung der bayerischen Teststrategie:

Zur Erklärung: Das sind 40 Kartons mit Schnelltests, die eines Tages im Sekretariat standen, ohne Begleitschreiben. Damit sollen die Lehrer getestet werden und alle SchülerInnen über 15. Oder doch alle Schüler? Oder nur die Lehrer? Auch die Sekretärinnen? Hausmeister? OGTS? Oder sind das die angekündigten Selbsttests? Ich schreibe an die Stadt. Drei Tage keine Antwort. Ich schreibe eine weitere Mail der Art, für die ich berüchtigt bin. Erhalte umgehend eine Antwort. Nach weiteren drei Tagen mit täglichen (wechselnden) Nachrichten bezüglich der bayerischen Test-Strategie habe ich einen Katalog von 10 Fragen an die vorgesetzte Behörde geschickt.

Wer soll testen? Ein Arzt, der uns zugeordnet wurde. Per Mail erfahren wir seinen Namen – mehr nicht. Ich lasse die Sekretärin anrufen, weil ich nun langsam an Erfahrung gewonnen habe. Ich will sichergehen, dass er dieselbe Information hat. Auf Nachfrage später erzählt er mir, dass es einen Aufruf gegeben habe zum Testen in der Schule, auf den er sich gemeldet hat. Dann habe man ihm den Namen meiner Schule gegeben. Mehr nicht. Er hat an einem Tag Zeit in der Woche. Ich freue mich, dass es ihn gibt.

Dann bekommen wir die nächste Lieferung: 1000 Selbsttests. Großer Karton, kein Begleitschreiben. Heute saß die Sekretärin da und hat die Pakete aufgeteilt für je zwei Lehrer.

Zwischendrin Informationen der Stadt, in langen Mails, die ein 5jähriger formatiert.

Ich sollte mich nicht zu sehr aufregen. Die bayerische Digitalisierungsstrategie sieht ähnlich aus. Als ich heute in die Schule kam, standen im Sekretariat vier große Kartons, schwarz. Inhalt: Aufbewahrungskoffer für je 16 iPads. Denn seit einiger Zeit bekommen wir in unregelmäßigen Abständen Sätze von iPads geliefert – ja wir hatten mal welche bestellt, jetzt gibt es irgendwo ein Leck und uns läuft die Bude mit iPads voll. Was wir nicht bekommen: Schnelleres Internet. Anschluss an ein schnelles Wlan. Eine Strategie. Einen Ansprechpartner. Einen Techniker. Auf meine Nachfrage, was meine Anfrage vom November macht (iPads der iPad Klassen an das interne Wlan anbinden), bekomme ich die Antwort, dass ich noch mal bei der Hotline anrufen soll.

Willkommen in meinem Leben.


Morgen soll es regnen und schneien. Ich fahre Rad.

https://islieb.de/

#wasmachteigentlichderchef 21-03-10

Gestern und heute auch damit verbracht, Briefe der 5c zu beantworten mit jeweils einer Postkarte. Ich hatte einer Kollegin erzählt, dass ich so wenig von den SchülerInnen daheim mitbekomme und nicht weiß, wie es ihnen geht. Daraufhin hat sie ihre Schüler animiert beim Thema „persönlicher Brief“ einen Brief an mich zu schreiben und abzuschicken. Also hatte ich gestern 22 Briefe in meiner Postmappe.

Und morgen bringe ich 22 Postkarten mit in die Schule und lege sie in die Hauspost.

Nächste Woche machen wir die Schule wieder ganz auf, Wechselunterricht in allen Jahrgangsstufen. Das ganze Drumherum (mit Testungen, Impfungen etc. usw.) tut meinem emotionalem Haushalt nicht ganz so gut, was vor allem dann kritisch wird, wenn ich mal nicht ganz bei der Sache bin und dann zu weit aufmache, so dass bestimmte Dinge viel zu nah an mich rankommen. Habe heute 3 Stunden (inklusive „Sport“ im Wald) gebraucht bis der Deckel wieder drauf war. Die Lektüre der Briefe hat mich nicht grad beruhigt, was die nächsten Monate angeht, aber es klang in jedem Brief Zuversicht an, die mir aktuell manchmal fehlt.

Am besten melde ich mich mal wieder bei meinem Freund, wie vor zwei Wochen, als nach einem Tag die Schulen wieder zugemacht wurden in Nürnberg:

#wasmachteigentlichderchef 5.3.2021

Einige Male mit dem Fahrrad. Es war kalt. Matschig. Die Brücke über die A3 wird ab und gesperrt scheint es mir. Anscheinend verlegen sie dort eine Drainage. Irgendwas. Neulich war der Kampfmittelräumdienst vor Ort. Ich weiß, die kommen vorsichtshalber und untersuchen, ob es sicher ist, irgendwo den Bagger einzusetzen.

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Und einmal war die Polizei dort.

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Morgens ist es halt neblig, manchmal.

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Aber Sonnenaufgang ist immer.

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Und wenn ich in der Stadt bin, wird es dann richtig hell.

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Und nein, ich bin keine Pimmelnase, was die Maske angeht. Das Problem ist eher, dass Brille und Visier beschlagen, wenn ich die Nase drunter stecke. So läuft sie zwar durchgehend, aber ich habe freie Sicht.

Und manchmal halte ich jetzt im Wald an und mache Vesper.

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Einfach so.

#wasmachteigentlichderchef Februar 2021

Natürlich macht der was. Irgendwas.
Habe dieser Tag bei Arne Paulsen nachgelesen. Und gemerkt, dass es mir ganz ähnlich geht. Und ihm das wortreich in einer Email beschrieben.
Ich habe ein mulmiges Gefühl hier loszuschreiben, weil ich nicht recht weiß, wo es hingehen soll und wer alles unter die Räder kommt.


Ich weiß nicht, die wievielte Woche das jetzt hier in der Schulschließung ist. Als es anfing, habe ich mich in mich hinein gefreut, weil ich recht kaputt war. Ich nahm es als Erholung und konnte eine Woche nicht mehr als 6, eher weniger, Stunden schlafen – weil ich so kaputt war. Dann die ganzen Feiertage, wo ich völlig das Zeitgefühl verlor. Dann Beginn des Distanzunterrichts. Und jetzt soll verlängert werden. In der letzten Woche bekam ich einen einzelnen erleuchtenden klaren Gedanken: Weil man nicht lüften kann, wenn draußen Minusgrade herrschen. Klingt zynisch, ist das einzige, was für mich Sinn macht. Seit diesem Gedanken geht es mir besser. Weil endlich mal was Sinn macht.


Gründe, von denen ich gehört habe, dass sie eine Schulöffnung notwendig machen:

  • Kinder brauchen soziale Kontakte
  • SchülerInnen verlieren den Anschluss
  • Eltern sind überfordert
  • Häusliche Gewalt nimmt zu
  • Eltern sollen arbeiten gehen können
  • Lehrer haben genug Ferien
  • Kinder sind nicht ansteckend
  • Bildung ist wichtig
  • Kinder sind wichtig
  • Kinder werden daheim traumatisiert (sic!)
  • Distanzunterricht funktioniert nicht
  • Wechselunterricht funktioniert nicht
  • es gibt ausreichende Hygienekonzepte
  • eine ganze Generation geht verloren

Gründe, von denen ich gehört habe, dass sie eine fortgesetzte Schulschließung notwendig machen:

  • Grad läuft eine Pandemie da draußen
  • es gibt Mutationen, die ansteckender sind
  • Kinder verbreiten auch den Virus
  • dauerhafte Kontaktvermeidung ist notwendig, um die Inzidenz zu senken
  • Distanzunterricht funktioniert
  • usw.

Ich komme über eine Diskussion in der letzten Woche nicht hinweg, in der ich mich vielleicht etwas seltsam verhalten habe. Jemand schickte mir ein Video, aufgenommen von einer Moderatorin von irgendeinem Frühstücksfernsehen daheim. Darin ging es im Groben um Themen, „die in der Diskussion um Lockdown zu wenig öffentlich diskutiert würden“. Mich regte der salbungsvolle Ton der Frau auf, ihre beständig in Bethaltung präsentierten Hände und der scheinheilige Unterton. Es ging um häusliche Gewalt und darum, wie sich die psychische Situation von Menschen daheim verschlechtere durch den Lockdown und dann kamen Vorschläge, dass die Omi doch in der Turnhalle mit anderen Omis Sport machen könne, damit sie nicht depressiv mehr so depressiv sei. Ich überspitze, natürlich, nein eigentlich nicht, das waren ihre Worte. Alles das Themen, die jetzt untergehen – ja wirklich?

Und das war mein Problem: Wann waren diese Themen denn überhaupt mal „en vogue“?


Und hier schließt sich der Kreis: Die Argumentation, die mir präsentiert wird, lautet: Im Lockdown gibt es mehr häusliche Gewalt und Depression, ergo würde eine Öffnung dabei helfen, dieses abzumildern. Und das halte ich wie so vieles für eine Milchmädchenrechnung.


Ich habe also das Problem wie viele andere auch: Mir fehlt der feste Punkt im Universum, an dem ich etwas befestigen könnte, um ein Argument so einzuhebeln, dass es trägt. Und ich leite eine Schule, auf der ich es auch stellenweise mit dysfunktionalen Familien zu tun habe, wo Familien in absolut beengten Verhältnissen leben, in Asylunterkünften, wo Familien abgeschoben werden, wo häusliche Gewalt ein Thema ist, prekäre Arbeitsverhältnisse und Arbeitslosigkeit. Wo ein sehr tapferer Sozialpädagoge 860 SchülerInnen betreut. Wo tapfere LehrerInnen nicht locker lassen. Wo wir Grenzen kennenlernen. Und das eben jetzt deutlicher.


Und ja, ich lese viel in meinem Twitterumfeld von gelingendem Unterricht. Dass alle dabei sind. Dass gelernt wird digital, was das Zeug hält. Ich freue mich. Ich kann’s nicht mehr hören.

Ich scheine der einzige zu sein (neben Arne Paulsen), der seinen Distanzunterricht macht und sich nicht sicher ist, ob er hier viel erreicht. Der eher das Gefühl hat, dass er mit noch weniger SchülerInnen als vorher Kontakt hat – also einfach einen dieser vielen Sozialkontakte, die man in der Schule hat. Und die vielen kleinen Hilfsmittel, die nur als Person, nur um Umgang miteinander funktionieren: Ein Lächeln, ein böser Blick, der Finger zum Mund, die geballte Siegesfaust, die Bro-Fist, das geflüsterte „gut gemacht“ im Vorbeigehen, das Verbessern der Aufgabenstellung, wenn ich merke, dass es nicht alle verstehen, das aufzuwertende „weiter so“, das ungehaltene „Schluss jetzt“. Lehrer zu sein bedeutet eben auch Pädagoge zu sein und nicht nur Lernmaschine (das merken ja die da draußen auch langsam, dass Schule nicht nur das Austeilen von Arbeitsblättern und ihre Korrektur ist), sondern Pädagoge ist, also jemand, der im direkten Kontakt arbeitet, sozusagen mit dem ganzen Körper – nicht nur mit dem Kopf.

Ich klinge romantisierend vielleicht. Aber man möge mich nicht falsch verstehen, ich sehe nicht in der Öffnung der Schule ein Heilmittel dafür.


Was helfen könnte, meiner Meinung nach, ist, dass man den aktuellen Zustand nicht als Übergang zwischen Vorher und Vorher betrachtet. Und das euphemistische Geschwafel von der „neuen Normalität“ mal sein lässt. Gut wäre es, mal loszulassen, um ein wenig Raum für Neues zu geben.

Unter anderem, weil das Alte eben grad nicht funktioniert: Unterricht im Klassenverbund, beständige Leistungsmessung, Lehrplanerfüllung.


Was ich höre: „Wir entlasten Schülerinnen und Lehrerinnen, indem wir den Lehrplan und Leistungsmessungen entschlacken.“

Was ich höre:“ Die Qualität der bayerischen Abschlüsse wird erhalten bleiben.“

Was ich erlebe: kognitive Dissonanz.


Vor etwa 30 Jahren hat mir jemand mal versucht den Begriff der Neurose (Verhaltensstörung) zu erklären – und seltsamerweise fiel mir das dieser Tage wieder ein. In meiner Erinnerung war die Argumentation, dass Menschen in ihrer Entwicklung bestimmte Verhaltensweisen erlernen, um Konflikte zu lösen. Wenn dies erfolgreich ist, festigen sich diese Verhaltensweisen. Neurotisch wird es dann, wenn sie im Erwachsenenalter die Verhaltensweisen des Kindes weiter verwenden, um erwachsene Probleme zu lösen.

Dem Sinn nach wiedergefunden:

In den kognitiv-behavorialen Ansätzen werden die Neurosen, wie andere psychische Störungen auch, auf fehlangepasste und erlernte Verhaltens- und Einstellungsmuster beschrieben, die auf der Grundlage von Vulnerabiltität und Stress entstehen.

Wikipedia: Neurose

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