5 Minuten Schulleitung – Risikofaktoren

Impressionen.

Das erste Halbjahr ist zuende, am Freitag gab es Zeugnisse. Bedeutete für mich und das Stundenplanteam neue Arbeit. Die Anfangsphase war gut, es lief reibungslos. Und ich wurde überheblich und übersah einige Fehler. Am Donnerstag verteilten wir die Pläne, am Freitag saß ich die ersten drei Stunden am Computer und versuchte zu retten, was zu retten war. Danach lag ein neuer Plan vor – hoffentlich passt es. Er muss die nächste Woche überstehen.

Am Montag der Woche durfte ich die ersten Konferenzen halten – mein Chef war aushäusig dienstlich gebunden. Drei am Stück: Probezeit, Zeugniskonferenz für alle Klassen, Allgemeine Konferenz. Hatte Schiss, ging aber ganz gut.

Davor die Woche hatten wir Ferien. Eine Woche. Davon war ich drei Tage in Köln, traf zwei alte Freunde und hatte, das war der eigentlich Anlass, ein Arbeitsgespräch in Verbindung mit einem neuen Nebenprojekt. Zwei Tage hatte ich Ferien, dann setzte ich mich freitags an den Stundenplan.

Als ich im Januar krankgeschrieben wurde, sagte mein Arzt, ich sollte mir keine Sorgen machen, aber der Blutdruck sei etwas hoch. Er wüsste nicht, ob das mit der Infektion zusammenhinge. Ich solle das einfach mal im Auge behalten. Also kaufte ich ein einfaches Blutdruckmessgerät für das Handgelenk. Alle paar Tage zeigten sich normale Werte. Zwei Stunden nach der Konferenz vom Montag, als ich schon lang daheim war, zeigte das Display einen Druck von 145 zu 100 und einen Ruhepuls von über 90.

Ich habe seit vier Tagen nach einer Stunde am Schreibtisch einen stechenden Schmerz in der rechten unteren Schultermuskulatur – dem kann ich entgehen, wenn ich die Maus mit links bediene und im Unterricht das Schulbuch links halte.

Ich blogge nur noch Schulleitungsposts.

Am letzten Mittwochabend startete ich abends den Computer und als ich das Stundenplanprogramm öffnete und meinte, ich wolle noch mal sehen, ob da nicht noch was besser ging, hörte ich aus dem Wohnzimmer, dass ich ein perfektionistisches Arschloch sei.

Hallo, ich bin kubiwahn und ich arbeite zuviel.

PS: Wenn es jemand interessiert – mein Stundenplan:

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5 Minuten Schulleitung – Der Feind sitzt oben

Im Sozialkundeunterricht verwende ich oftmals folgende Definition der Sozialen Rolle:

„Die Soziale Rolle ist die Summe aller Erwartungen, die innerhalb einer Gruppe an den Inhaber einer sozialen Position gerichtet werden.“

Ich erkläre dann weiter, dass sich die Erwartungen an das Aussehen, die Kleidung, das Verhalten und sogar an die Sprache richten können. Weiterhin orientieren sich die Erwartungen logischerweise an Traditionen der Gesellschaft. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, ob nun bewusst oder unbewusst, folgen Sanktionen der Gruppe – i.d.R. so lang bis das gewünschte Verhalten wieder hergestellt wurde.

Als Beispiel fungiert dabei der Junglehrer, der zu Beginn seiner Karriere manchmal zu nachsichtig mit den Schülern ist, vielleicht sogar etwas kumpelhaft. Die Schüler ihrerseits strafen solches Verhalten recht unbarmherzig, denn, logisch, sie wollen einen Lehrer, Kumpels haben sie selbst genug. Sie strafen auch, so meine Deutung, weil sie verunsichert sind. Wenn der Lehrer seine Rolle nicht einnimmt, wird natürlich auch die Schülerrolle obsolet. Kinder im schulfähigen Alter aber benötigen Rollenmuster, um ihre eigene Identität zu entwickeln. Wird ihre wachsende Identität verunsichert, reagieren sie sehr stark.

Die Rolle ist somit aber eben auch nicht so fest wie man sie vielleicht erwarten mag. Jeder hat innerhalb seiner Sozialen Gruppe die Aufgabe, die Rolle zu übernehmen, aber gleichzeitig auch, sie auszugestalten. D.h. er übernimmt sie und formt sie individuell aus. Die Fachbegriffe dafür sind roletaking und rolemaking.

Was im Kern also gesagt werden kann: Wer oder was wir sind, wird nicht unerheblich von unserer Umgebung bestimmt – aber wir sind nicht nur Opfer der anderen. Kein Lehrer, so das Beispiel, ist wie der andere.

Exkurs: Aus dieser Sicht ist der Schüler übrigens ein sozialer Profi, der seinesgleichen sucht. Man stelle sich das nur mal vor: An einem durchschnittlichen Tag ziehen 6 und mehr Lehrer an ihm vorbei und er kann sich innerhalb von Sekunden auf die unterschiedlichste Ausgestaltung der Rolle Lehrer einstellen.

Banales Küchenwissen mag mancher sagen. Übrigens nicht für den brlv (Bayerischer Realschullehrerverband), für dessen Hauptschreiberlinge schulischer Erfolg hauptsächlich durch angeborene Intelligenz bestimmt wird. Und daran kann man ja nichts ändern. Schade eigentlich. Egal.

Ich sage meinen Schülern jedenfalls, dass ich diese Theorie selbst sehr spannend und hilfreich für den Alltag einstufe. Und dass sie nicht nur auf Schulklassen, sondern auch auf Lehrerkollegien anwendbar sind.

Mir z.B. fällt damit im Hinterkopf oft der Blick auf die sogenannte Realität leichter. Ich kann mich in schwierigen, konfliktgeladenen Situationen leichter distanzieren und die Entfernung zur Situation vergrößern, indem ich sie als sozusagen „nicht persönlich“ einstufe. Auf einer dienstlichen Ebene lässt sich gelassener arbeiten.

Man agiert eben in und aus (s)einer Rolle heraus, da wir alle bestimmte Erwartungen aneinander richten, die wir erfüllt sehen möchten. Manchmal wird es schwierig, vor allem, wenn widersprüchliche Erwartungen an einen Rolleninhaber gerichtet werden. Man spricht dann von Rollenkonflikten (es werden Inter- und Intra-Rollenkonflikte unterschieden).

Bei Inter-Rollenkonflikten dreht es sich um Konflikte, die zwischen den verschiedenen Rollen entstehen können, die wir in unseren Leben einnehmen (Der Lehrer, der seine Schulaufgaben sehr gut korrigiert abgeben will und die Ehefrau, die böse ist, weil der Ehemann so lang am Schreibtisch sitzt).

Intra-Rollenkonflikte heißen sie, wenn es um widersprüchliche Erwartungen an den Inhaber einer Rolle geht.

Da erwartet die eine Seite, dass man ihnen alles auseinandersetzt und erklärt, nicht einfach auf Aushängen bekannt gibt. Sie mag es nicht, einfach bestimmt zu werden. Sie will, dass man drüber redet. Und es gibt die andere Seite, die bemängelt, wenn zu wenig „bestimmt“ wird – wenn kein „Machtwort“ gesprochen wird. Wenn nicht gesagt wird, wo es lang gehen soll.

Am Ende aber sitzt der Feind der Depp immer oben. Das ist gut so. Hilft gegen die Rollenunsicherheit.

5 Minuten Schulleitung – Mein neues Sakko

katzenspiel

Es kann sein, dass meine Gedankenkreisel derzeit damit zu tun haben, dass ich eine Woche krank war. Richtig krank, so mit Krankschreiben und so, Arztbesuch, Fieber, Medikamenten. Seit Montag bin ich wieder im Büro, aber so ganz gesund wohl noch nicht. Aber ich will nicht über das Krankheitsverhalten von Lehrern grübeln – ich habe ja viele Kollegen, die da zum Teil wenig Rücksicht auf sich nehmen. So wenig wie ich. Andres Thema. (Die Katzen fanden es toll, den ganzen Tag jemanden zum Spielen zu haben)

Worüber ich in den Tagen nachgedacht habe, war eher wieder diese Rollen-Geschichte als Konrektor. Bisher grübelte ich eher darüber, was ich selbst aktiv tue, um diese Rolle auszufüllen, bewusst, mit Absicht. Mittlerweile merke ich aber Veränderungen, die so nebenbei passieren. Merke, dass ich in eine neue Phase hineingleite. Und kann dabei aber nicht so recht trennen zwischen den Aspekten, die der Beruf ausmacht, die aus dem persönlichen Lebensumständen stammen, der Biografie, dem Amt oder dem Umfeld.

Ich kann mich z.B. noch recht gut erinnern an die Anfangsphase. Eine meiner Ausbilderinnen hat mal gesagt, dass man 5 Jahre braucht, bis man im Beruf angekommen ist. Dem kann ich zustimmen. Dabei geht es weniger um diesen beschworenen Augenblick, in dem man „alles mal unterricht hat“ (mit dem hässlichen Vorurteil, dass dann alle Aktenordner im Schrank stehen, die bis zur Pensionierung benutzt werden). Mehr geht es darum, dass man ab diesem Zeitpunkt wirklich als Lehrer durch und durch auftritt. Dass man dann, so denn alles geordnet verläuft, vorn steht und kaum mehr etwas fürchtet, keine Schülerreaktion, keinen Chef, der überraschend an der Klassenzimmertür klopft.

In diesem Moment hat man seine Rolle auch im Kollegium gefunden, in der Elternschaft und vielleicht macht man es sich da auch in der Region bequem, freundet sich an mit dem Gedanken, auch die nächsten Jahre dort zu verbringen.

Über diesen Stand bin ich auch mittlerweile weit hinaus.

Jetzt gehöre ich an meiner Schule zum älteren Viertel, bin in der Schulleitung. Ich betrete das Lehrerzimmer nur noch selten – zum Teil, weil ich eben mich selbst nicht mehr als Kollege empfinde wie ich früher einer war, zum anderen, weil ich einfach nur noch wenig Zeit habe. Andersherum aber ist mein Auftritt im Lehrerzimmer nun auch anders geworden. Zum einen verbindet man jetzt mit meiner Person den Vertretungsplan – also auch immer Mehrarbeit. Oder aber offizielle Gespräche. Gespräche, die aber vertraulich sein mussten, wozu ich also den Kollegen aus dem Zimmer bitten musste.

Und ja, manchmal habe ich mir „den Spaß“ gemacht, dass ich die Lehrerzimmertür öffnete, hinein schaute und laut zum Kollegen sagte: „Hr. Meier, kommst du mal bitte in mein Büro, ich müsste mit dir sprechen.“ Und obwohl man dies richtig einschätzen konnte, war so ein kurzes Stocken aller Gespräche zu vernehmen, viele bewusst neutral gehaltene Blicke und Unsicherheit darüber, ob man jetzt lachen, feixen oder eben ernst bleiben musste.

Rollenunsicherheit also nicht nur auf meiner Seite.

Kurz: Gespräche mit mir sind jetzt anders. Mich überhaupt zu sprechen, ist anders – dazu muss man sagen, dass mein Büro, wie das des Chefs, über das Sekretariat zu erreichen sind. D.h. vor einem Gespräch mit mir, meldet man sich quasi an. Ich höre dann ein gerauntes „Ist er da?“ Und ich habe eben, auch aufgrund meiner Arbeit, eigentlich keine Zeit mehr zwischen 7.30 Uhr und 13.30 Uhr für wirklich private Gespräche. Um mich mit den Freunden im Kollegium zu treffen, benötige ich manchmal den Terminkalender – was auch daran liegt, dass zu den Freunden auch Mütter mit kleinen Kindern gehören, d.h. die brauchen ihren Kalender auch.

Vielleicht können andere mit dieser Situation besser umgehen – ich bin dazu zu wenig Verwaltungsbeamter. Ich sehe mir dabei zu genau zu bei dem, was ich so mache. Dazu habe ich meine Gesamtarbeit derzeit noch zu wenig unter Kontrolle, muss noch Abstriche machen, bestimmte Hobbys auf Eis legen, andere einschränken, Arbeitszeiten neu organisieren.

Was sich derzeit aber besonders ändert ist, dass ich mich in diese neue Rolle quasi eingleiten lasse. Ich gebe mehr und mehr bestimmte innere Widerstände auf. Dies ist ganz ähnlich der Entwicklung zum Lehrer in den angesprochenen 5 Jahren. Irgendwann ist man war ich auf „der anderen Seite“ und machte mir keine großartigen Gedanken mehr darüber. Ich war irgendwann Lehrer und habe mich innerlich nicht mehr für Ordnungsmaßnahmen oder Hausaufgaben entschuldigt.

Und so bezieht sich das jetzt auf den Vertretungsplan, den neuen Stundenplan, der ab nächster Woche erarbeitet wird oder alle anderen Dinge, die ich organisiere.

Und so werde ich jetzt langsam Konrektor, Ständiger Stellvertreter des Schulleiters.

Damit einher geht auch eine Veränderung meiner Kleidung. Offen gesagt schubste mich die Frau dann vor einigen Wochen mal in die Richtung, also, dass ich mir „mal überlegen könnte, ob denn der Kapuzenpulli mit der Aufschrift Abschluss 2009 noch so angemessen“ sei. Also, kurz und schmerzlos liebe Leser, es hängen jetzt drei Sakkos und mehrere Hemden im Schrank und ich trage sie gern. Und ich fühle mich wohl damit.

Letztlich trage ich sie auch als äußeres Zeichen meiner inneren Transformationsphase.

Und natürlich hoffe ich, dass mir meine Sakkos gut passen und sie mir stehen.

5 Minuten Schulleitung – The Times They Are a-Changin

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Als ich Samstag beim Frisör war, kam die junge Dame wieder drauf zu sprechen, ob ich denn irgendwann nicht wieder Dreads haben möchte – in ihrem Geschäft hatte ich sie schließlich vor ein paar Jahren verloren. Aber irgendwie will ich nicht. Das Foto oben stammt von 2008, da hatte ich mich grad auf den Posten des Zweiten Realschulkonrektors beworben, den ich dann ja auch bekam.

Ein paar Schritte weiter auf dem Marktplatz traf ich auf einen Stand, der auf das Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren in Bayern aufmerksam machen wollte. Hauptsächlich besetzt von Mitgliedern „meiner“ Partei – ein kurzes Schwätzchen.

Der Bürgermeister – auch aus „meiner Partei“ – stand dort auch. Den hatte ich das letzte Mal gesehen, als er auf der Königsfeier meines Fischereivereins eine Rede als Gast hielt.

Kurz gesagt: ich gehe mittlerweile auf die Straße und treffe oft bekannte Menschen, im Dorfladen, auf dem Marktplatz, im Supermarkt. Noch vor einigen Jahren war diese Vorstellung unangenehm, als ich noch in Nürnberg wohnte – doch nach dem Umzug aufs Land, in die Nachbargemeinde meiner Realschule, gewöhne ich mich dran: an das Landleben, an die Schüler hier rundrum und das Leben der Kleinstadt.

„Das Leben auf die Reihe bekommen“ habe ich vor einigen Wochen hier leichtfertig geschrieben, als Wunsch für die Ferien. Leichtfertig, weil diese Formulierung überhaupt nicht zuende gedacht war. Seitdem grüble ich in meiner freien Zeit darüber nach, was ich damit eigentlich meinte. So ganz schlau werde ich aus mir nicht.

Sicher ist aber, dass ich grade dabei bin, meine Entscheidung für diesen Stellvertreterposten zu akzeptieren. So seltsam es klingt.

Dazu gehören auch regelmäßige Besuche beim Frisör (habe ich erwähnt, dass ich die Tochter des Hauses unterrichtet habe?) – und das Vorhandensein von Jackets im Schrank. Meine Frau murmelte neulich etwas von „erwachsen werden“. Als ich dann meinte, dass ich demnächst mal einen Schlips ausprobieren will, habe ich es aber wohl überreizt.

So unausgegoren wie das hier grad klingt, gehts mir auch. Wenn ich das nur mal auf die Reihe bekäme.