Mo221010

Irgendwo wieder anfangen, na klar. Auf dem Land, wo ich heute aufgewacht bin und in den letzten Nächten durchschnittlich über 8 Stunden geschlafen habe. Es ist ziemlich lang her, dass ich das geschafft habe.

Ein Tag mit drei Unterrichtsstunden, also drei Mal unterbrochen worden bei meiner Arbeit. Der eigentlichen Arbeit?

Ein Montag wie er im (Schulleiter-) Buche steht:

  • Telefonate mit KM, LAS (Landesamt für Schulen), Schulleiterkollegen, Polizei
  • US-Abgabe (die andere Mitglieder der Schulleitung fertig gebracht haben) , zu der ich zwei Erinnerungen erhalten habe, im Laufe des Tages und die selbstgesteckte Timeline ein Mal verschieben musste (Ich hatte ja Unterricht), warum man jetzt proaktiv Erinnerungen schickt?, keine Ahnung, vielleicht ist ein Ruf zu verteidigen, jedenfalls habe ich den finalen Knopf gedrückt und die Augen zugekniffen
  • Gespräche, einzelne, mehrere
  • Meinen schulisch-dienstlichen Officezugang am Bürorechner wieder selbst repariert durch meinen Adminzugang (Adminzugänge sind oft eine sehr große Hilfe), Digitalisierung an Schule ist auch eine gute Sache, wenn man nicht so oft auf Selbsthilfe angewiesen wäre, die uns allerdings auch oft verwehrt bleibt
  • Besprechung nächster Diszifall

Ich habe mir für morgen einen Home-Office Tag eingelegt zum Erstellen der Beurteilungen. Ein Tag, an dem ich keinen Unterricht habe. Ich wohne zehn Minuten von der Schule entfernt (mit dem Ebike), könnte also beim Löschen helfen, wenn es sein muss. Wichtige Anrufe kann man auf mein Handy umleiten.

Ich werde in der Schule an so einem Tag wie heute durchschnittlich alle zehn Minuten unterbrochen in der Arbeit (reell vor der Tür, Anrufe intern, Anrufe extern usw.). Da schaffe ich es nicht einmal ansatzweise mich in eine Beurteilung einzudenken. Das wäre erst nach 16 Uhr möglich – oder eben zuhause, wie vor 4 Jahren dann an vielen Wochenenden, Abenden, Nächten. Ok, da war ich noch wirklich unerfahren, aber…egal.

Eine Freundin, auch Schulleiterin, hat mir neulich beim Abendessen erzählt, dass sie diesen Home-Office-Tag für sich gebucht hat. Ich fand das jedenfalls eine gute Idee.

Mein Nachdenken dreht sich derzeit viel um Arbeitszeit, die 40 Stunden Woche, Wochenenden, Schlafen und Fahrradfahren. All dass muss doch irgendwie kompatibel sein.

So, heute.

Aber neulich mal sehr fein gekocht. Mit Bierbegleitung natürlich.

Noch 14 Jahre Schulleiter: Ausgangspunkte Schuljahr 22/23

Corona ist vorbei, Corona kommt. Und ich habe keine Ahnung, was kommt. Mal sehen.

Wir haben eine Klasse ukrainischer Flüchtlingskinder, zwei LehrerInnen, die sie unterrichten. SchülerInnen von der 6. bis zur 9. Klasse. Das funktioniert bei aller Anstrengung nicht so gut wie die Verlautbarungen des Kultusministers zu meinen lassen.

Wir hatten zum Mai, in der Anmeldungsphase, als Gesamtschülerzahl 799 SchülerInnen, jetzt haben wir 865. In der Zwischenphase wurde ein Referendar als Ausgleich zugewiesen.

Wir schaffen alles so grad eben abzudecken, haben nur noch geringste Reserve. Das hat viele Gründe, u.a. auch einige Konzepte, die wir fahren, vom Gebunden Ganztag (dieses Jahr neu: Bläserklasse) bis zu den iPad-Klassen. Zusammen mit den externen Gründen ist es schwierig. Ziemlich. Es darf halt nichts Personelles passieren – das wäre dann aber das erste Jahr, in dem nichts passiert.

Ich probiere dieses Jahr etwas Neues aus. Ich nehme eine 7. Klasse in Deutsch zusätzlich zu meinen beiden obligatorischen Sozialkundeklassen – jetzt GuP-Klassen (Gesellschaft und Politik) – und gebe dafür Leitungsstunden in die weitere Schulleitung ab. Zum einen, weil ich Deutsch sehr gern unterrichtet habe, zum anderen weil wir Bedarf in Deutsch haben. Außerdem habe ich auf der letzten Abschlussfeier gemerkt, dass die letzten derjenigen SchülerInnen verabschiedet wurden, die ich noch in der 5./6. Klasse unterrichtet habe, als ich vor 6,5 Jahren an die Schule kam. Wenn ich durch das Schulhaus gehe, kenne ich aktuell fast keine SchülerInnen mehr und die, die ich kenne, möchten eigentlich nicht, dass ich sie kenne.

Da Unterricht in einer weiteren Klasse ist jetzt nicht so der Bringer, aber scheinbar sinnvoll. Zusätzlich aber ich will mich mal/mehr in den 5. Klassen blicken lassen.

Beurteilungsjahr. Unterrichtsbesuche.

Das letzte Jahr meiner Weiterbewerbungssperre als Schulleiter. Also das 5. Jahr meiner Direktoren-Tätigkeit. Das Jahr, in dem ich mich entscheiden will, ob ich weiter Schulleiter bleiben will. Jedenfalls hatte ich für mich das mal so parat gelegt vor drei Jahren. Ein fertig formuliertes Rückstellungsschreiben habe ich ohnehin parat liegen seit dem ersten Jahr.

Das erste Jahr, in dem die Schülerzahlen stagnieren.

Das erste Jahr, in dem ich in mir zum ersten Mal das Gefühl habe, dass ich den Kopf dauerhaft über Wasser halten kann. Und auch wenn das Privatleben etwas turbulent ist, jetzt und seit einiger Zeit, bleibe ich soweit stabil, dass ich ein paar „Projekte“ angehen kann innerhalb der Schule, die nichts mit dem alltäglichen Workload zu tun haben, sondern vielleicht etwas langfristig angelegt sind. Auch weil der Kopf nicht mehr nur mit dem Zusammenhalten meines Alltags beschäftigt ist.

Eins der Projekte ist ein runder Tisch mit SchulvertreterInnen, AnwohnerInnen, städtischen MitarbeiterInnen, Schulreferentin, Hausmeister, Polizei und wer mir noch so einfällt. Etwas verblümt ausgedrückt: Die Schule hinterlässt Spuren bei den umliegenden AnwohnerInnen, ebenso wie Leute von außen Spuren auf dem Schulgelände hinterlassen. Es gab und gibt Beschwerden. Es muss miteinander geredet werden.

Zufrieden bin ich selten, immer noch, aber ein bisschen mehr als früher, manchmal.

Schon das erste Telefonat mit der Stadt geführt über die Quote der Toilettengänge meiner SchülerInnen, wenn sie auf dem Sportplatz gegenüber Unterricht haben und die Toiletten des Vereinsheims benutzen. Als ich subtil meine Genervtheit ob dieser (wiederholten) Anfrage zeigte, wollte man mir Tipps geben, die man die SchülerInnen zu weniger Klogängen ermuntern kann. Meine Reaktion dann war weniger subtil.

War mal wieder Geburtstag.

14 Jahre Schulleiter: öffentlich reden

Anlass: Zeugnisübergabe an AbschlussschülerInnen

Ort: Turnhalle der Schule

Zeit: nach 16 Uhr, Dauer: etwa 12 Minuten

Vorbereitungszeit: Erste Variante am Dienstag, also drei Tage vorher, aufgeschrieben – aber es fehlt etwas drin. Zweite Variante mit neuem Gedanken erst am Vortag entwickelt.

Empfinden: Hat nicht so gezogen, die Überleitungen passten nicht, zu wenig Zeit gehabt, daran zu schleifen. Unzufrieden wie selten.

Originalmanuskript – das Zitat am Ende war nur dem Gefühl geschuldet, was ich eigentlich rüberbringen wollte. Habs nicht vorgelesen.

Ah, ist das nicht schön? Endlich wieder alles normal. Endlich.

Endlich wieder normal.

Oh, so schön, alles normal, ganz normal.

Normal.

Ich denke mir immer, wenn in letzter Zeit dieser Satz kommt, dass er eigentlich bedeutet: Endlich wieder normal – also endlich wieder alles wie vorher – oder schlimmer: wie früher.

Früher, als alles noch normal war. Ach wie schön.

Am Anfang meines Sozialkundeunterrichts lernen die Schüler Adolf Portmann kennen, einen Biologen und Anthropologen – also jemanden, der die Entwicklung des Menschen erforscht.

Er sagte mal, dass der Mensch eigentlich eine Frühgeburt ist. Er stellte provokativ fest, dass der Mensch erst ein Jahr nach der Geburt ungefähr den Entwicklungsstand erreicht hat, den ein Elefantenbaby schon direkt nach der Geburt zeigt. Also z.B. die Laute der Artgenossen verstehen, selbständig fressen und gehen können.

Für das Elefantenbaby ist das alles normal.

Stattdessen der Mensch: Wird geboren und schreit. Nix ist normal.

Der Mensch muss das alles lernen, oft mühsam – weil es nicht normal ist für ihn.

Manche Forscher betrachten das eigentlich als die Stärke oder besser ein grundlegender Antrieb für den Menschen, der ihn antreibt.

Oberflächlich gesehen, scheint dies ein Nachteil zu sein, dennoch hat sich der Mensch durchgesetzt – weil es nämlich auch ein Vorteil ist: Er kann nämlich lernen und sich anpassen, an das, was nicht so normal ist. Und so kann er überall leben: Im Wasser, auf Land, auf dem Mond – er kann in sehr heißen Regionen und sehr kalten überleben.

Was wenn der Mensch oder seine Vorfahren irgendwann gesagt hätten: Puh, ist das komisch, so unnormal, ich will, dass es wieder normal ist – so wie früher?

Aber was sagen Sie mal ganz grundsätzlich, was normal ist.

Anzunehmende Antworten:

  • das, was die Mehrheit der Menschen in meinem Umfeld für angemessen halten, im Verhalten, im Äußeren oder auch der Sprache, die verwendet wird
  • Das nennt man dann gern eine „Norm“ und dann sind wir gleich beim Normalen

Wir reden im Alltag eigentlich dann erst von normal, wenn etwas abweicht von dem, was wir normal nennen.

Was sagt man nicht vor allem Kindern:

  • Jetzt rede doch endlich normal.
  • Setz doch mal normal hin.
  • Kannst du nicht wie ein normaler Mensch essen?
  • Sei doch einfach mal normal. (Sehr verzweifelt.)

Was meint da normal?

Sei doch mal wie ich!!

Und das ist doch seltsam: Das Normale entsteht erst durch sein Gegenteil. Normal kann man nur etwas nennen, wenn es ein nicht Normales als Gegenüber gibt.

Und scheinbar überwiegt das Nicht-Normale.

Das Nicht Normale scheint also genau so normal zu sein wie das Normale?

Ich will es nicht in die Länge ziehen.

Ihr AbschlussschülerInnen geht heute aus dem Schulhaus und lasst etwas Normales hinter euch – vor euch wird etwas liegen, was, von heute aus gesehen, absolut nicht normal ist, aber werden wird.

Und dann werdet ihr neue Schritte gehen. Ich hoffe für euch, dass ihr das Nicht-Normale begrüßt.

Und mehr noch, dass ihr das Verrückte akzeptiert, und die Verrückten gleich mit, die Bekloppten, von denen man sagt, dass etwas nicht mit ihnen stimmt.

Vor allem hoffe ich, dass ihr niemals Sachen deswegen NICHT macht, weil jemand sagt: Das ist doch nicht normal. Bist du bescheuert?

Sondern dass ihr dann breit lächelnd antwortet: Ja, und?

„…und ich schlurfte ihnen hinterher, wie ich das mein ganzes Leben lang bei Menschen getan habe , die mich interessieren, denn die einzigen Menschen, die mich interessieren, sind die Verrückten, die verrückt leben, verrückt reden, die alles auf einmal wollen, die nie gähnen oder Phrasen dreschen, sondern die brennen, brennen, brennen, wie römische Lichter in der Nacht.“

Jack Kerouac, On The Road

Wie ich es mal nicht zum Twitterlehrerzimmertreffen nach Kassel schaffte

Also die Kurzfassung, möglichst wenig dramatisch. Ich hatte es mir eigentlich schön vorgestellt: Mit dem aufgeladenen E-Bike von Nürnberg aus am Mittwoch (25.05.)aufbrechen und nach Bamberg radeln. Donnerstag dann von Bamberg nach Schmalkalden, um von da dann am Freitag nach Kassel zu kommen. Freitagabend, so die Vorstellung, mit sonnenverbranntem Gesicht und lächelnd nach Kassel hinein bergab rollend.

Nunja, gerollt bin ich am Freitagabend, auf einer Liege in den OP. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon 8 positive Coronatage hinter mir (mild bestimmt, aber eben auch deutlich stärker als jede Erkältung, die ich bisher von mir kannte) und den ersten negativen Test, aber auch mit schon wieder 2,5 Tage lang unerklärbaren Beschwerden, die auch vom Bereitschaftsarzt in Nürnberg nicht richtig gedeutet wurden. Als ich auf der Liege dann so reingeholt wurde, hatte man mittlerweile festgestellt, dass mein Blinddarm das Problem war. Die OP war ein Klacks, auch wenn alle Beteiligten hinterher meinten, mir sagen zu müssen, dass sie „so etwas“ wie in meinem Bauch auch noch nie gesehen haben.

Egal. Ich wachte auf und fühlte mich zum ersten Mal seit 14 Tagen gut, beschwerdefrei und zuversichtlich. Und dies blieb auch nach Abklingen der Medikamentenwirkung.

Hab lang überlegt, ob ich das schreibe, aber es ist auch nur eine umständlich lange Einleitung für andere Gedanken.

Vor allem habe ich mich nämlich wieder mal vor mir selbst erschreckt: Als ich in der Notaufnahme saß, völlig dehydriert, weil ich zwei Tage nichts bei mir behalten konnte, nach zwei Tagen mit Fieberschüben Schüttelfrost, Bauchkrämpfen, war einer meiner Gedanken: OK, gleich untersuchen die mich, dann geben Sie mir Antibiotika, päppeln mich bis Sonntag auf, dann kann ich noch zwei Tage ausruhen und am Mittwoch in die Schule gehen und die Terminaufgaben erledigen.

Ich wurde am Dienstag entlassen, nach ein paar zusätzlichen Untersuchungen. Den Gedanken, in dieser Woche in die Schule zu gehen, hatte ich schon nach der OP verworfen, als ich auch mental wieder zurechnungsfähig war.

Dennoch frage ich mich: Woher kommt dieses Kadaverding?

Jemand meinte neulich mir gegenüber, dass sei so ein Ding von Menschen „meiner Generation“.

Ich weiß es nicht, aber es nervt.

Der Vertreter der nächsthöheren vorgesetzten Dienstbehörde hat recht freundlich und bestimmt geschrieben, dass ich mich erholen soll nach diesen zurückliegenden drei Wochen.

Ich glaub, ich mach das jetzt mal.

Ein Fehler in der Matrix – für Herrn Rau und Herrn Schreiner, vom Krankenbett aus

Ich habe Herrn Rau irritiert in einer Twitter-Diskussion entdeckt und dann folgte ein Blogeintrag, nach dem er verreist ist. Es ging um den Begriff des „Bulimie-Lernens“ – Also das schnelle Anfressen von Wissen, um es bei der Prüfung auszukotzen und dann wieder schnell zu vergessen. Bzw. darum, dass man das als Fehler in der Matrix des (bayerischen) Schulsystems ansieht, was Herr Rau nicht teilt.

Ich kenne das ebensowenig wie Herr Rau aus eigener Erfahrung, rechne das aber dem zu, dass ich als Schüler nie eine bayerische Schule von innen gesehen habe – nur in Hamburg und dann in NRW. Aus dieser Perspektive und der eines Schulleiters einer bayerischen Realschule aber würde ich einige Beobachtungen hinzufügen. Nichts davon soll beweisen, dass diese Art des Lernens strukturell oder nicht ist. Ich bin auf keiner Mission. Ich erzähle nur.

Beobachtung 1: Während des Studiums Aushilfsjob im Baumarkt. Mehr als einmal musste ich mir vom Stift (Mittlere Reife) anhören, dass das Schulsystem in Bayern ja so streng und so gut sei und dass er in seiner Abschlussklasse Aufgaben gelöst hätte, die da, wo ich herkomme, im Abitur drankämen.

Ironie und Widersprüchlichkeit waren nicht sein Ding.

Beobachtung 2: Wenn ich im Referendariat (1998) an der Einsatzschule mit einem Pack Arbeitsblätter in den Geschichtsunterricht kam, wurde es im Raum stiller als ich es je hätte durch meine natürliche Autorität erreichen können. Ich habe erst nach einiger Zeit bemerkt, dass Arbeitsblätter zweierlei bedeuten in einem Alltag von bayerischen (Real)Schulen, die nicht Seminarschulen sind:

A) Er schreibt jetzt einen unangekündigten Test (Ex)

B) Er schreibt nächste Stunde einen unangekündigten Test (Ex)

Gleiches gilt für Tafelbilder: Macht der Lehrer ein Tafelbild, dann gibts

A) Eine Ex.

B) Eine Abfrage.

Das Konzept Abfrage war mir bis Bayern nahezu unbekannt.

Exkurs: Ein Lehrer aus meiner Schulzeit in NRW fragte in Englisch ab, gern mich, wenn er mich morgens auf dem Weg zur Schule rauchend gesehen hat. Das war der Lehrer, der mit 22 als Unteroffizier am Strand der Normandie gefangengenommen wurde und in der Nachkriegszeit sein Abitur und Studium nachgemacht hatte. Wir sahen ihn später im Fernsehen wieder, am Strand der Normandie, in einem Gedenkjahr, vom Krieg sprechend. Wir lachten damals, weil er dort in der Normandie beim Sprechen wie bei der Abfrage immer auf den Zehenballen wippte, die Hände gefaltet oder hinterm Rücken.

Beobachtung 3: Gern von Eltern gehört – Es gibt „Lernfächer“ und andere Fächer. Gern in folgendem Satz: Ich weiß auch nicht, warum mein Kind so schlecht in Geschichte ist – das ist doch nur ein Lernfach.

Das andere Fach ist das, wo man nicht nur lernen, sondern auch verstehen muss. (Sic!)

Beobachtung 4: Gespräche, die ich oft mitbekommen habe in den letzten Jahren, auf Gängen, zwischen SchülerInnen und LehrerInnen.

„Warum habe ich eine 3 (auf dem Zeugnis)?“

„Weil der Schnitt deiner Noten eine 2,9 ergibt.“

Ende des Gesprächs.

Exkurs 2: Es gibt im Schulrecht im Kapitel über Leistungsfeststellung im Hinblick auf das Schuljahresende und Vorrücken eine Stelle im Kommentar, die ich grad aus dem Kopf zitieren muss, weil der Kommentar in der Schule steht. Dort heißt es, dass die Feststellung einer Jahresleistung nicht allein das Ergebnis einer logarithmischen Berechnung sein darf, sondern die Lehrkraft in voller pädagogischer Verantwortung die Gesamtpersönlichkeit des Schülers mit einbeziehen muss.

Exkurs 3: Es gibt Klagen, in denen es um Noten geht. Dort wird abgefragt, ob die Notengebung unter formalen Bedingungen richtig erfolgt ist.

Exkurs 4: In der einzigen Klage, die ich bisher durchstehen musste, begründete das Gericht am Ende (ich zitiere grob) – auch auf der Basis meiner Argumentation: „dass pädagogische Entscheidungen in der Schule gerichtlich nicht abbildbar sind und das Gericht dies auch nicht anstreben kann“.

Exkurs 5: Wenn ich in NRW nach meinen Noten gefragt habe, wurde mir ausführlich erklärt, wie die zustande kamen.

Beobachtung 5: Vor mehr als 18 Jahren habe ich mal mit einer Kollegin gesprochen, wie sie ihre Noten in Deutsch mache. Antwort war: Ich schreibe in einem Schuljahr vier Schulaufgaben, in jedem Halbjahr zwei Exen und fragen jeden Schüler im Halbjahr ein Mal ab.

Das entspricht exakt der Vorgabe, die die Realschulordnung vorgibt als Mindestmaß.

Ich habe über Umwege gehört, dass die Kollegin, deutlich jünger als ich, mittlerweile ihrem Burnout nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Abschluss

Grundgedanke/Theorie: Wir arbeiten alle im gleichen bayerischen Schulsystem. Nicht.

Beobachtung 6: Vorrücken auf Probe

§ 31 (Gymnasium)

Vorrücken auf Probe

(1) 1Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 9, die das Ziel der jeweiligen Jahrgangsstufe erstmals nicht erreicht haben, können mit Einverständnis ihrer Erziehungsberechtigten auf Probe vorrücken, wenn nach dem Gesamtbild aller erzielten Leistungen erwartet werden kann, dass sie im nächsten Schuljahr das Ziel der Jahrgangsstufe erreichen. 2Dies gilt für Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10 und 11 nur, wenn sie das Ziel der Jahrgangsstufe wegen Note 6 in einem oder Note 5 in zwei Vorrückungsfächern, darunter in Kernfächern keine schlechtere Note als einmal Note 5, nicht erreicht haben; bei Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 11 kommt es darauf an, ob erwartet werden kann, dass sie das Ziel des Gymnasiums erreichen. 3Die Entscheidung trifft die Lehrerkonferenz auf der Grundlage einer Empfehlung der Klassenkonferenz.

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayGSO-31

§ 26 (Realschule)

Vorrücken auf Probe

(1) Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 9, die wegen Note 6 in einem oder Note 5 in zwei Vorrückungsfächern das Ziel der jeweiligen Jahrgangsstufe erstmals nicht erreicht haben, können mit Einverständnis ihrer Erziehungsberechtigten auf Probe vorrücken, wenn sie in den Fächern Deutsch, Englisch, Mathematik und in dem jeweiligen gruppenspezifischen Wahlpflichtfach nach § 35 Abs. 1 Satz 1 keine schlechtere Note als einmal Note 5 haben und die Lehrerkonferenz auf der Grundlage einer Empfehlung der Klassenkonferenz zu der Auffassung gelangt, dass nach dem Gesamtbild aller erzielten Leistungen erwartet werden kann, dass sie im nächsten Schuljahr das Ziel der Jahrgangsstufe erreichen.

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayRSO-26

=> Zum Unterschied:

Am Gymnasium ist die Entscheidung über das Vorrücken auf Probe eine überwiegend pädagogische Entscheidung in 5-9. Unabhängig davon, wieviele Fächer mit 5 oder schlechter bewertet werden.

An der Realschule ist es an Fächer gebunden und an die Anzahl der mangelhaften Fächer.

Das BayEUG (steht ja über allem)orientiert sich eher am Gymnasium:

Art. 53 (BayEUG)

(6) 1 Schülerinnen und Schülern, die die Erlaubnis zum Vorrücken nicht erhalten haben, kann in einzelnen Schularten und Jahrgangsstufen nach Maßgabe näherer Regelungen in den Schulordnungen das Vorrücken auf Probe gestattet werden; das Vorrücken kann ihnen noch gestattet werden, wenn sie sich einer Nachprüfung zu Beginn des folgenden Schuljahres erfolgreich unterzogen haben. 2Schülerinnen und Schülern, die infolge nachgewiesener erheblicher Beeinträchtigungen ohne eigenes Verschulden wegen Leistungsminderungen die Voraussetzungen zum Vorrücken nicht erfüllen (z.B. wegen Krankheit), kann das Vorrücken auf Probe gestattet werden, wenn zu erwarten ist, dass die entstandenen Lücken geschlossen werden können und das angestrebte Bildungsziel erreicht werden kann.

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayEUG-53

Letzter Exkurs: In Coronazeiten wurde das alles zusammengeführt in einer „Allgemeinverfügung zur Änderung der Schulordnungen in Folge der Corona-Pandemie“ vom 24. Juni 2021

Änderung der Bekanntmachung über den Vollzug der Bayerischen Schulordnung (BaySchO)

Allgemeinverfügung zur Änderung der Schulordnungen in Folge der Corona-Pandemie

Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 24. Juni 2021, Az. II.1-BS4610.2/30

1.1 Nach Nr. 1.4 wird folgende Nr. 1.5 angefügt:

„1.5 1Für Schülerinnen und Schüler, für die ein Vorrücken aufgrund ihrer Leistungen nicht möglich ist, sind im Schuljahr 2020/2021 Entscheidungen über ein Vorrücken auf Probe nach Art. 53 Abs. 6 Satz 2 BayEUG zu treffen. 2Dabei wird die im Einzelfall zu Leistungsminderungen führende erhebliche Beeinträchtigung infolge der COVID-19-Pandemie in besonderem Maße gewichtet, auch hinsichtlich der Erwartung, ob die entstandenen Lücken geschlossen werden können, und der Prognose, ob das angestrebte Bildungsziel erreicht werden kann.

https://www.verkuendung-bayern.de/files/baymbl/2021/442/baymbl-2021-442.pdf

Zur Erklärung, weil ich es selbst auch falsch verstanden habe und entsprechend Entscheidungen zurücknehmen musste: Das Vorrücken auf Probe war hiermit keine Entscheidung mehr auf der Basis von Noten oder Noten in bestimmten Fächern, aber auch keine pädagogische Entscheidung mehr.

Wer es bis hier durchgehalten hat.

Völlig ohne Ironie und Sarkasmus oder väterliche Attitüde: Realschule und Gymnasien in Bayern sind unterschiedliche Schularten (ja…) und pflegen eine unterschiedliche Kultur. Daher reden die Beteiligten reden oft aneinander vorbei.

Ich ärgere mich oft im Alltag über die Gymnasien, mit denen ich zu tun habe – und wenn ich mich ärgere, ärgert sich in der Regel im Anschluss einer am Gymnasium über mich und die Realschule.

In Nürnberg gibt es zwei Schulen, an denen drei Schularten unter einem Dach sind. Ich bilde mir manchmal ein, dass da das Miteinander entspannter ist.

Und ich hoffe, dass die Realschule, die ich sehr mag, und jede andere Schule auch, die Kultur der pädagogischen Notengebung stärker kultivieren würde – und nein, wie gehabt, das heißt nicht, dass immer die bessere Note gegeben wird.