5 Minuten Schulleitung

„Einem Club, der mich als Mitglied aufnimmt, möchte ich nicht angehören.“ (Groucho Marx)

Ich war nie der „geborene Lehrer“, auch wenn einige, die mich früher kannten, dies gern behaupten. Dass ich einer bin, finde ich aber ziemlich in Ordnung. Irgendwie lag’s ja schon in der Familie, in der Lehrer (in Schlesien) großväterlicher-, onkeliger- und großmütterlicherseits bis ins 19. Jahrhundert nachzuweisen sind. Nunja.

Dass ich darüber hinaus als „Mitarbeiter in der Schulleitung“ gelandet bin, mag meine Mutter zu einem typischen, explosiven Lachen hingerissen haben, inklusive der Erinnerung, wie sie in meiner „kreativsten Phase“ während der 8. Klasse (1982/1983!) (mal wieder) im Gang vor dem Direktorzimmer sitzen musste, um mit dem Rektor über mich zu sprechen. Daran erinnert sie mich jedes Jahr mindestens einmal.

Im selben Atemzug wird sie erwähnen, dass mein Klassenlehrer in einem dieser Momente vorbeikam, kurz stehenblieb und ihr in Bezug auf mich zuraunte: „Wir müssen ihm den Rücken stärken!“

Mein erstes Lehrervorbild. Nicht nur deswegen, aber bis heute. Auch wenn meine Erinnerung sehr blass ist – und was wusste man schon damals von seinen Lehrern?

Warum ich das alles erzähle? Wieder mal ein wenig Post-Privacy-Schwäche?

Nein. Einfach nur eine lange Vorbereitung. Denn ich habe mich vor einigen Wochen wieder beworben. Und ohne lang herumzureden, die kultusministerielle Wahl fiel auf mich. Dies bedeutet nun, dass ich ab dem nächsten aktuellen Schuljahr an meiner neuen Bürotür ein neues Schild anbringen kann, das ergänzt wird um den Zusatz „Stellvertretender Schulleiter“. Korrekt gesagt ziehe ich um in das größere Büro.

Dies mag einige erschrecken, die mich kennen. Vielleicht auch die, die aus meinem Blog und anderen Social-Media-Beiträgen heraus Beschwerdebriefe an meine Vorgesetzten formulieren. Mich selbst hat es nicht so sehr überrascht, wenn das auch überheblich klingen mag. Aber wenn man im Geschäft ist, dann kann man dies oder jenes abschätzen. Von daher.

Vor den Ferien hatte mir dieser Posten, den ich noch nicht besetzte, der aber frei wurde, sehr viel mehr Arbeit eingebracht, bzw. neue Aufgaben. Und davon so viele, dass dieser Blog zum ersten Mal brach lag. Was das noch an Umbruch bringen wird, mag ich noch nicht abschätzen.

Wahrscheinlich werde ich mir aber jetzt so etwas wie einen Anzug kaufen müssen. Irgendwann.

Dass mir als erstes der Satz von Groucho Marx einfiel, ist darüber hinaus vielleicht etwas seltsam – und mir ist auch nicht so klar, warum –  Warum sollte ich den Verein ablehnen, für den ich mich beworben habe? Spricht es nicht eher FÜR den Verein, dass er so jemanden wie mich aufnimmt?

Jedenfalls habe ich mal den Lehrer von oben gegoogelt. Er ist beruflich bis in die obere Hamburger Schulbehörde gekommen. Dass er schon früher Trompete gespielt hat, auf dem Jungfernstieg in Hamburg, war mir noch in Erinnerung. Dass er Mitglied des Orchesters „Tuten und Blasen“ ist, wusste ich auch. Die Geschichte des Orchesters jedoch ist mir neu gewesen und wird hier für den Sender Tide zusammengefasst. Das werde ich mal meiner Mutter vorspielen müssen. Sie wird fragen, ob er immer noch die alte speckige Lederjacke trägt.

httpv://www.youtube.com/watch?v=PivUN8AwGoQ

Mein erwähntes Lehrervorbild ist übrigens keiner von den Interviewten. Aber dieses Porträt beeindruckt mich, weil es mich auch in meiner Überzeugung bestätigt, dass ein Lehrer immer auch über die vier Wände seines Klassenzimmers hinaus engagiert und wirksam sein kann – soll – muss?

Nachtrag

Bezüglich meiner Erinnerung war ich nicht ganz sicher und habe daher eine Mail an die Kontaktadresse „Tuten und Blasen“ geschickt. Doch es stimmte. Und ich bin nicht ganz sicher, ob es mir schmeichelt, dass man sich nach 30 Jahren an meinen Namen erinnert.

Erinnerungen sind ja eine komische Sache. Ich sage, er war ein Vorbild und doch kann ich mich nicht an den Unterricht erinnern. Ich weiß, dass er eine Art hatte, uns anzusprechen, die uns für ihn einnahm. Daneben denke ich an spannende Erzählungen bezüglich der Französischen Revolution.

Und aus jeder Zeit heraus entwickelte sich, glaube ich, meine Vorliebe für die taz – klingt seltsam, kam aber so…

In der 8. Klasse plante unser Klassenlehrer eine Radtour mit uns – was an sich schon der reine Wahnsinn war: 8. Klasse, 30 Schüler, mit Fahrrad auf öffentlichen Straßen! Und so fand sich wohl auch kein Kollege, der mitwollte. Stattdessen fuhr ein Freund von ihm mit. Irritierend, dass ich nur noch weiß, dass er Paul mit Vornamen hieß. Jedenfalls raunte es damals durch die Klasse, dass er „Redakteur bei der taz“ sei. Da ich damals noch nicht regelmäßig Zeitung las, verpuffte das etwas, aber später gehörte sie, wenn auch nicht täglich, so doch regelmäßig zu meiner Zeitungslektüre. Mittlerweile im Wochenendabo und seit zwei Monaten als Mitglied der taz-Genossenschaft. Und ebenso regelmäßig wie ich sie lese, denke ich an Paul, der „Redakteur bei der taz“ ist und mal mit uns auf einer Radtour war.

Die Radtour führte uns übrigens in das Wendland, welches man heute wohl aus den Nachrichten kennt, wenn Traktoren Castor-Transporte aufhalten wollen. In der Nähe unseres damaligen Ziels lag und liegt nämlich Gorleben.

Nachtrag II

Ich frage mich, was bei all dem Tanz um die Planung von Unterricht bei meinen Schülern eigentlich ankommt. Ist es das, was in meinem Stundenraster steht oder das, was ich nebenbei so alles sage, tu, mache? Konkret: sind es die Phasen der Französischen Revolution oder ist es Paul?

PS

Bilderklärung

Von Schülern lernen…

geht immer.

Mit Beginn des Lehrerjobs 1999 sollte eine Zeit enden, in der ich musikalisch etwas auf der Stelle getreten war. Abhilfe schuf im ersten Jahr ein Tape, was mir ein Schüler aufnahm, dem ich ein paar Bücher geschenkt hatte, die bei Aufräumarbeiten daheim übrig geblieben waren (vor allem doppelte Exemplare nach dem Zusammmenlegen zweier Germanistikstudentenregalen).

Zwei Jahre später drückte ich einer Schülerin, die ebenso wie ich DocMartens trug, eine leere Kassette in die Hand mit der Aufforderung, mir ein paar ihrer Lieblingslieder aufzunehmen. Leider ist die Tracklist schon sehr verblasst – aber geblieben davon sind: Green Day, Millencolin und 3 Doors Down.

Experimentierfreudiger dann das nächste Tape: Deutscher Hip Hop und „Ghettomucke“. Der Titel des Tapes wurde in dem hiesigen Haushalt zum geflügelten Wort.

Und als letztes Beispiel aus der Tape-Ära eine Sammlung mit viel Incubus und Placebo.

Als ich das letzte Mal um eine CD bat, kam leider irgendwie viel elektronische Musik heraus. Hier, muss ich sagen, ist meine musikalische Toleranz etwas begrenzt.

Aber die Tracklists hier sind fester Bestandteil meiner Musikbibliothek geworden. Ja, sogar „Hip-Hop-Mucke“ – es gibt nichts Besseres, wenn man allein in norddeutscher Landschaft im Auto über die Landstraßen braust.

Außer vielleicht – im Ernst – Ali Hassan Kuban, den ägyptischen Hochzeitssänger.

httpv://www.youtube.com/watch?v=9XzOhQTDpfg