5 Minuten Schulleitung

Die Zeit nach den Ferien ging grad so weiter, wie die Zeit vorher endete. Diesmal kam der Druck eher durch die Tatsache, dass unser Chef ein paar Tage nicht da war und die Schulleitung daher auf 2 Personen reduziert wurde. Gleichzeitig standen erste Prüfungskonferenzen an und mündliche Prüfungen. Dann die bevorstehenden Abschlussprüfungen. Vertretungsplan war meine Arbeit bis Donnerstag. Und nebenbei Unterrichten und übliche Verwaltungsaufgaben.

Ich merke, dass der Stress und der Druck weniger durch die Arbeit an sich kommt, sondern von dem, was manche wohl als „Verantwortung“ bezeichnen würden. Während man als Einzellehrer seine Verantwortung auf seine Klasse reduzieren kann, bzw. diejenigen, die man unterrichtet, gilt das als SL-Mitglied nicht mehr. Einfach ausgedrückt: an dieser Arbeit hängen mehr Leute dran, und zwar mehr Schüler, mehr Kollegen und mehr Eltern, mehr alles. Vielleicht blendet man mit der Zeit diesen Gedanken aus, vielleicht sicher sind andere auch besser strukturiert in ihrem Handeln, vielleicht ist es manchen egal – aber mir liegt das schon irgendwie quer, vor allem eben in der Phase, wo ich alles zum ersten Mal mache. Bei allem der Gedanke: Wenn ich einen Fehler mache, liegt die gesamte Arbeit der Schule brach.

Ich glaube, da muss ich dran arbeiten.

Was schön war in dieser Phase: Ein altes Versprechen meiner 10. Klasse gegenüber einlösen und eine große Menge an Roter Grütze hergestellt. Kredenzt wurde mit Vanille-Eis und ungeschlagener Sahne. Entspannt auf dem Balkon der Schule gesessen. Gequatscht, gegessen, Wind um die Nase wehen lassen.

Manchmal ist alles einfach.

Lehrer lesen

Auf dem Nachttisch…

so lautete die Überschrift, unter der Kurt Tucholsky Bücher besprach. Bei Zeno.org (hier über die Schriften Freuds) konnte ich einige dieser Texte aus den Gesammelten Werken entdecken – allerdings habe ich eine Gesamtausgabe ohnehin im Regal stehen.

Bei Lehrern dürfte es auch einen Ort geben, auf dem sich die Bücher stapeln – bis die Ferien beginnen.

 

Auf meinem Gartentischchen in den Pfingstferien

H.D. Thoreau – Aus den Tagebüchern.
Tewes Verlagsbuchhandlung

Ausgewählt, weil ich mein Projekt „Dichter als Staatsfeinde“ ausgebaut habe, d.h. um Erich Mühsam und Thoreau (Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat) erweitert habe. Walden hatte ich schon gelesen vor einigen Jahren – die Ausgabe steht hier aber nicht mehr, ich meine, ich hätte sie mal an einen Schüler oder eine Schülerin verliehen.

 

David Foster Wallace – Das Mädchen mit den komischen Haaren

Eine Bekannte schickte mir den Hinweis auf den Vortrag „Das hier ist Wasser“ von D.F. Wallace. Einen Vortrag vor den Absolventen des Kenyon College. (Besprechung in der SPEX) Sein Grundgedanken umkreisten die Fragen „Was ist Denken?“ und „Wie erreiche das 30. Lebensjahr, ohne mir eine Kugel in den Kopf zu jagen?“ Die Rede scheint auf den ersten Blick banal zu sein. Ist sie aber nicht.

Jedenfalls folgte aus dieser Begegnung nun dieser Band mit Kurzgeschichten. Ich bin gespannt. Es scheint das Sperrigste der drei zu werden.

 

Jonathan Franzen – Anleitung zum Alleinsein

OK, ich gebe zu, dass ich hier nach Titel ausgesucht und nicht den Klappentext gelesen habe. Allein aus den stressigen beiden Wochen heraus. Entgegen meiner Hoffnung, auf die Anleitung zum Alleinsein zu stoßen, fand ich hier nun eine Sammlung von gesellschafts- und kulturkritscher Essays aus den Jahren 1994 bis 2001.

Franzen kenne ich bisher nur von Die Unruhezone, was ich als schönes Hörbuch zwischen Berlin und Nürnberg genossen habe. Als solches ein genial witziges, spannendes und persönliches Buch – ohne allzusehr voyeuristisch zu sein.

Die Essays des vorliegenden Bandes sind bisher sehr vielversprechend. Grundsätzlich scheint es um eine Phase zu gehen, in der Franzen wenig bis gar nichts schreiben konnte/wollte. Eines der zentralen Essays ist somit wohl das Harper’s Essay über seine Depression nach zwei von der Kritik glänzend besprochenen Romane, die aber seiner Meinung nach kaum einer lesen will. Dabei dreht er Kultur, Medien und die damit verknüpfte amerikanische Gesellschaft durch die Mangel, was mich bisher glänzend unterhält. Manche Kritiker halten es für ein jammerndes Stück Literatur – ich nicht.

Ebenso spannend ein Essay über das Verhältnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit: Riesenschlafzimmer. Spannend, weil von 1998 – Prä-Facebook sozusagen. Und es enthält dennoch einige prägende Gedanken, die in der aktuellen Diskussion um #postprivacy nicht unerwähnt bleiben sollten.

Bei der Entstehung des Essays schien aber der sogenannte Starr-Report Einfluss genommen zu haben, der die Vorgänge um die Beziehung zwischen Bill Clinton und Monica Lewinski „erhellen“ sollte. Seine Haltung dabei ist die, dass die Privatsphäre oder das Private nicht gefährdet sind, sondern eher „explodieren“. Das Private, so äußert er, belästige ihn eher, vor allem, wenn er damit im öffentlichen Raum konfrontiert werde in Form des laut telefonierenden Mitbürgers oder dem Lieferanten, der auf Bürgersteig pinkelt.

Ebenfalls erwähnt wird sein (unser) zwiespältiges Verhältnis zum Thema Datenschutz.

„Das Risiko, dass jemand mein Maut-Konto anzapft, erscheint mir erträglich gering, verglichen mit dem Plus an Bequemlichkeit.“

Aber auch die Hysterie rund um das Sammeln von Daten.

„Dass aber Powers (gemeint ist Richard Powers, der über den Verlust des Privaten schrieb) Kreditkartenbetrug und abgehörte Handygespräche ernstlich mit einem thermonuklearen Ernstfall vergleichen kann, zeigt in erster linie, wie ansteckend die Angst vor dem Verlust der Privatsphäre ist. Wo ist denn >registriert<, was Powers oder sonst jemand denkt, sieht, sagt, hofft, plant, träumt und peinlich findet? Ein digitaler Ulysses, der aus nichts anderes als einer Liste der Einkäufe seines Helden und anderer Verrichtungen besteht, die sich dokumentieren lassen, beliefe sich höchstens auf vier Seiten: War an Leopold Blooms Tag wirklich mehr passiert?“

Bei Franzen habe ich zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder einen Bleistift gezückt, um Seitenmarkierungen anzubringen.

Besprechung in der FAZ und auf BlogEdition.

 

Unterm Strich

Ich habe mich gefragt, warum so viele der Lehrer, die ich kenne, auf die Frage, was sie in den Ferien machen, oft anworten: „Lesen.“ Sicherlich geschieht dies, um auf andere Gedanken zu kommen. Andrerseits merke ich bei mir gerade, dass es vor allem auch darum geht, wieder Worte zu schöpfen. Nach 6 Wochen Unterrichts und 4 Wochen kontinuierlichen Korrigierens fehlen mir jedenfalls die Worte – auch im wörtlichen Sinn.

Seltsamerweise fällt mir grad wieder der Tucholsky ein und seine Frage nach Lichtenberg.