links und rechts verwechseln?

Habe heute die kleine Schrift Stephane Hessels bekommen, von der ich neulich in der SZ gelesen habe. Habe dabei etwas mehr erwartet. Mehr? Mehr Mitreißendes. Irgendwie. Vielleicht bin ich auch grad zu müde durch den Schulalltag, um mich mitreißen zu lassen.

Dennoch finde ich sie eine wichtige Lektüre angesichts der letztjährigen Hysterie um das Sarrazin-Buch. Denn sie stellt einen wichtigen, weniger geschwätzigen Gegenpol auf. Und sie steht da, wo ein SPD-Mitglied früher auch mal stand – ich meine vor Gerhard Schröder, den ich mittlerweile schlimmer empfinde als alle Kohls und Merkels zusammen.

Hessels Perspektive ist nicht im wörtlichen Sinn links. Er geht von seinem Engagement in der Résistance aus, von der Zeit nach dem Sieg über den Nationalsozialismus und von der Formulierung der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte, an der er mitgewirkt hat. Nennt die geistigen Einflüsse seines Denkens: Hegel, Benjamin, Sartre, Camus. Nennt die beiden „neuen Menscheitsaufgaben“: 1. Die Verringerung der Schere zwischen arm und reich und 2. die Durchsetzung der Menschenrechte und die Bewahrung unseres Planeten.

So einfach ausgesprochen. Aber dennoch wohl auch seit je die Ansprüche linker Denke.

Wenn ich also nicht mitgerissen wurde, so findet sich doch die Anregung, mal wieder über die eigene politische Haltung klar zu werden. Auch und gerade als Sozialkundelehrer.

Das andere, unsäglich Buch von Herrn Sarrazin hat mich im letzten Jahr ja genug verfolgt. Aber auch das war letztlich gutes Material, die eigenen Gedanken mal neu zu sortieren.

(Nein, ich habe es nicht gelesen, nur die Auszüge aus der Presse – Und Nein, ich will ihn nicht direkt durch Geld noch indirekt durch Leihgebühren dafür auch noch bezahlen).

Aber so war es doch mal wieder Zeit, den Kindern in der Schule, die ebenso wenig das Buch gelesen hatten, aber es dauernd zur Sprache brachten, zu erklären, dass die Unterstützung, die der Staat seinen Bürgern gewährt, keine Almosen sind, sondern aus der Eigenverpflichtung entstehen, die Würde des Menschen zu bewahren und seine Freiheit zu schützen.

Ebenso musste ich leider erklären, dass Fatima und Ayse (Namen geändert), die in der Nachbarklasse sitzen, ebenso Migranten sind – und zu allem Überfluss Muslima. Dass Lipinski und Wisniewski und Wadnicek auch mal einwanderten (Alle ! Namen geändert).

Und seit wann eigentlich, frage ich mich, darf man sich in aller Öffentlichkeit hinstellen, und derart verzerrtes Gedankengut gegen Eintritt äußern?

Nunja, wenn ich also nicht mitgerissen wurde, so doch mal wieder dazu gebracht, zu sehen, wo ich stehe. Und ich befinde mich, ungeachtet jeder Partei, links.

Was heißt links? (Zeit-Online)

Linke Lektüre

Leichenblässe – Simon Beckett

Der dritte Beckett-Roman, den ich gelesen habe. Das besondere dabei ist aber nur, dass das Lesen zum ersten Mal auf dem iPad geschah. Und das war eigentlich auch schon das beste daran.

Die Dramaturgie der Romane um den Pathologen David Hunter ist doch nach zwei Vorgängern einfach zu ähnlich gestrickt, als dass sie mich noch wirklich überraschen konnten. Und auch die pathologisch-forensischen Details sind für einen CSI-Fanatiker wie mich kaum noch irgendwie reizvoll.

Aber das Lesen auf dem iPad hatte was. Habe gleich mal den nächsten angefangen: Jo Nesbo, Leopard. Popcorn-Ware, sorry ja, aber nach Feierabend will ichs einfach, leicht und bequem.

Bild: von amazon.de verlinkt

Nichts. Was im Leben wichtig ist

Irgendwie ist da ja wieder ein Medienhype an mir vorbeigegangen. Ich stand einfach beim local Buch-Dealer meines Vertrauens und brauchte Lektüre für die Weihnachtsferien. Dabei heraus kamen Dorfbeben und Nichts. Was im Leben wirklich wichtig ist.

Nachdem ich nun letzteres gelesen habe, bekam ich beim Nachforschen im Netz mit, dass hier offensichtlich eine größere Diskussion im Gange ist, in der hin und her gestritten wird.

Ich fand einfach nur, dass ich ein nachdenkenswertes und gutes Buch gelesen hatte.

Eine 7. Klasse in Dänemark. Pierre Anthon äußert am Anfang des Schuljahres plötzlich, dass alles im Leben keine Bedeutung habe und er deswegen auch nicht weiter zur Schule ginge. Stattdessen hockt er sich auf den Pflaumenbaum im elterlichen Garten, wirft mit Pflaumen und verspottet jeden Mitschüler, der vorbei kommt.

Seine Klassenkameraden können diese Äußerung nicht einfach stehen lassen und wollen ihn vom Gegenteil überzeugen, erst durch Argumente, dann mit Steinen. Dies gelingt ihnen aber nicht. Schließlich treffen sie den Entschluss, dass sie in eine stillgelegtem Sägewerk auf einem Haufen alles sammeln wollen, was irgendeine Bedeutung hat,  um Pierre zu überzeugen.

Auf diesem Berg sammeln sich nun einfache Gegenstände, z.B. ein Paar grüne Sandalen. Doch schon bald werden die Gegenstände skurriler: ein großes Kruzifix aus der Kirche soll hinzukommen, der Gebetsteppich eine muslimischen Mitschülers. Doch es spitzt sich immer weiter zu und als sie schließlich auf den Friedhof ziehen, um den kleinen Bruder einer Mitschülerin auszugraben, wird jedem Leser klar, dass es hier eine bittere Wendung nehmen wird.

Der Streit um das Buch, soweit ich das nachgelesen habe, dreht sich einerseits um den angeblichen Medien-Hype, den es erzeugt hat oder der erzeugt wurde und damit Erwartungen aufbaute, die es nicht halten konnte.

Andere stören sich daran, dass das Buch als philosophisches Buch daher kommt, aber keine Auflösung bietet.

Einige unterstellen der Autorin, alles infrage zu stellen, aber keine Werte, Regeln usf. an die Stelle des Nichts zu erheben.

Wieder andere finden den Stil schlecht, stören sich an unterkühlten Erzählerin.

Wenn ich eine Meinung äußern sollte, dann halte ich das Buch als Erzählung für eine gelungene Story, die dem Leser wirklich nichts anbietet, was irgendeiner Erklärung nahekommt. Die Erzählerin berichtet ohne sichtbare Regung oder Reflexion sämtliche Grausamkeiten, ohne diese auch nur annähernd zu bereuen. Schüler werden so ganz nebenbei verprügelt – und es wird keine Geste des Bedauerns erkennbar. Dennoch frage ich mich, wie viel Anteil wir nehmen an den alltäglichen Grausamkeiten, die uns umgeben. Wir reden darüber, betroffen und wichtig – aber ohne dass es eine wirkliche Bedeutung hätte, eine Konsequenz.

Der Leser bleibt schließlich allein und fragt sich zwanghaft, was in seinem Leben irgendeine Bedeutung (ich frage mich, ob dieses Wort so richtig aus dem Dänischen übersetzte wurde) hat und wie weit er dafür gehen will oder muss, um diese Bedeutung zu beweisen.

Insgesamt erinnert mich der gesamte Duktus der Geschichte und des Erzählens irgendwie an Georg Britting und „Brudermord im Altwasser“. Ich weiß aber immer noch nicht genau, worauf das Buch abzielt. Ich habe es staunend und fast atemlos gelesen. Wenn dann geht es wohl am ehesten um diese nagende Frage nach dem, was im Leben eines Menschen Bedeutung hat und nach dem schwer zu unterdrückenden Gefühl, dass das, was man dafür hält, ziemlich austauschbar ist. Am Ende steht dann die Entscheidung, was ich mit dieser Erkenntnis mache.

(das Cover wurde über die Verlagsseite des Hanser Verlags verlinkt)

Dorfbeben

Agnes Hammer: Dorfbeben

Ich gebe zu, dass ich es nach Cover und Überfliegen des Klappentextes spontan gekauft habe. Erwartet habe ich wohl eher so etwas wie die Kluftinger Romane, bekommen habe ich einen zähen Roman, der sich nicht entscheiden kann.

Mattes wurde mit einem übersensiblen Gehör geboren und wächst aus diesem Grund bei seiner Oma auf dem Land auf, weil die Stadt ihn auditiv überfordert. Alles geht dort seiner Wege bis eines Tages auf einer Kaffeefahrt nach Köln einer der Dorfbewohner in einer Kirche erstochen wird.

Er und seine Schwester Lena merken schnell, dass irgendwas nicht stimmt. Auf der Aufnahme für die Chorprobe der Kaffeefahrt entdecken sie etwas Ungewöhnliches und gehen dem nach. Schnell geraten sie in Schwierigkeiten, die für Lena fast tödlich enden. Auf der Suche nach dem Mörder kommt Mattes einer alten totgeschwiegenen Geschichte des Dorfes auf die Spur, über die keiner so recht reden will.

Ich schreibe diesen Artikel noch bevor ich das Buch zuende gelesen habe, aber bis zu diesen Zeitpunkt hat das Ding noch nicht so recht gezündet.

Kann sein, dass es darin liegt, dass der Roman einige Sujets anreißt, aber keines so recht zuende führt: Kriminalroman (dafür wirkt das alles eher nach 5 Freunde), Dorfroman (dafür bleiben die Figuren zu blass und außer Kartoffelernte und schweigsamen Nachbarn kommt kein Regionalkolorit auf), Coming-Of-Age (dafür zu wenig Konfliktpotential und auch die Schüchternheit von Mattes seiner Vane gegenüber ist nach dem zweiten Mal nicht mehr witzig), Problemroman (Mattes leidet unter seinem Gehör und sieht sich immer als Außenseiter, Behinderter, weil er deswegen auch gehänselt wurde)?

Kann sein, dass ich es irritierend finde, dass eine Frau in meinem Alter (40) aus der Sicht eines spätpubertierenden Jungen schreibt.

Kann sein, dass ich etwas anderes erwartet habe.

Viel besser gemacht bei: Kim Novak badete nie im See von Genezareth – Hakan Nesser.

(Cover stammt von Amazon und ist von dort verlinkt)