Aboud Saeed: Der klügste Mensch im Facebook / Lebensgroßer Newsticker

3. Januar 2013 um 11:39

Ein Freund fragte mich letztens:

– „Wie kannst du nur ‚Ficken‘ auf deine Pinnwand schreiben?“

– „Mein Freund, wenn man nicht mal ‚Ficken‘ auf seine Pinnwand schreiben darf, warum sollte man dann überhaupt das Regime stürzen?“

141 Likes

mikrotext-cover-201301-saeed-400px

Aus Facebook-Postings ein Buch zu erstellen ist an sich wenig spannend. Spannend wird es aber durch die Tatsache, dass hier ein Syrer schreibt, der mitten in einer Stadt lebt, die gerade von den Fliegern der Assad-Regierung bombardiert wird: Aboud Saeed, ein gelernter Schmied und Schweißer, der mit seinen 7 Geschwistern in einem Zimmer lebt, zusammen mit der Mutter, die weder lesen noch schreiben kann.

Erschienen ist Saeed im Berliner mikrotext-Verlag, der vor einigen Wochen zum Crowdfunding aufrief und ein Abo der (ausschließlich digital) veröffentlichten (Kurz-) Texte anbot. Nachdem ich schon im letzten Jahr aufgrund meinem so wenig wählerischen Umgang mit Kultur Mitglied in der Leonhard-Frank-Gesellschaft/Würzburg wurde, schien mir hier ein wenig Geld gut angelegt.

Eine zweite Veröffentlichung kam nun als erstes Buch des mikrotext-Abos: Lebensgroßer Newsticker. Lakonische Texte als Erinnerungen aus seinem Leben, groteske Erlebnisse und abgedrehte Figuren – oder umgekehrt.

 

PS: Der Online-Foto-Dienst Pixum bietet übrigens eine App an, mit der man seine Facebook Timeline zu einem Buch zusammenstellen kann – und nein, ich glaube nicht, dass es in jedem Fall gewinnbringend ist.

Axolotl Roadkill. Helene Hegemann.

9783548283234_coverIst das letzte Buch zu einer Referatreihe in der Schule. Ich habe unvorsichtigerweise gesagt, dass es das einzige Buch ist, was ich selbst noch nicht gelesen habe. Am Freitag kam die Schülerin und setzte mir die Pistole auf die Brust. Ich solle das Buch endlich lesen, um ihr Tipps für den Vortrag zu geben.

Jetzt habe ich es gelesen. Und muss wohl Tipps geben.

Nachdem ich Freitag schon etwa die Hälfte hinter mich gebracht hatte, brauchte ich selbst ein wenig Bestätigung, um das Gelesene irgendwie einzuordnen. Dieter Wunderlich stand mir da beiseite.

Für mich las ich da einen andauernden, besinnungslosen Drogenrausch, begleitet von beständiger Rave-Musik im Hintergrund. Das Ganze umringt von Berliner Szenegängern. Erzählt wird dabei seitenweise in einem Atemzug, wobei sich unterschiedlichste „Erzählformen“ abwechseln: Tagebuch, Email-Austausch, SMS, herkömmliches Erzählen. An zwei oder drei Stellen im Buch kommt auch die Erzählerin zur Ruhe, vor allem, wenn sie in die Schule geht oder, in einem Fall, an einem Ausflug in die KZ-Gedenkstätte teilnimmt.

Das Ganze nicht uninteressant und ohne Reiz, aber extrem überdreht, überhitzt und grell in Bild und Sprache. Vor allem, wenn zwischen der Beschreibung aller möglichen Körpersäfte ein oder zwei helle Gedanken auftauchen.

Ich finde meine dissoziative Identitätsstörung interessanter als alles, was diese Stadt mir ununterbrochen ins Gesicht kotzt.

Oder

Es gibt so viele Jahre in meinem Leben mit so einer Art Leichenstarre oder wie nennt man das, so einer Art Duldungsstarre oder so, also, sich nicht bewegen, weil man weiß: Das kann jetzt nicht das Leben sein, und da muss man dann durch, durch diese fürchterliche Zeit, man muss das ablaufen, was andere einem als Erfahrung vorschreiben und wo man aber denkt: Das interessiert mich eigentlich überhaupt nicht.

Gestern im Lokal auf die Frage einer Bekannten, wie es denn sei, das Buch, fiel mir nur ein: „Feuchtgebiete“ auf Speed.

Ehrlicherweise habe ich Feuchtgebiete auch noch nicht gelesen, aber das, was mir Schüler berichteten und was ich in Auszügen selbst gelesen habe, brachten mich zu dieser Aussage.

Heute auf einem Spaziergang fragte ich mich, ob der Roman innerhalb der Referatreihe nicht auch einfach ein gutes Ende sei. Die Reihe fing nämlich mit Kafka an.