Deutsch – schnell gemacht 5: Erzähl doch mal was.

Leonhard Frank 1929Als Zugereister in Würzburg hat mir meine belesene Frau, kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, einen Dichter in die Hand gedrückt, den ich recht flott inhaliert und schätzen gelernt habe. Jedenfalls kann ich mich aus dem Stegreif an manche Passagen aus dem, was ich las, erinnern, auch wenn die letzte Textbegegnung viele Jahre zurück liegt. Ich erinnere mich z.B., dass er in seiner Autobiografie berichtete, dass er an der ersten Seite seines ersten Romans mehrere Monate saß. Und wenn man diese Seite liest, kann man wirklich nur staunen – jedenfalls wenn man Würzburg kennt. Auf dieser Seite wurde eine typische Szene eingefangen, die 100 Jahre später nahezu ähnlich hätte ablaufen können. Ein bayerischer Schriftsteller.

Leonhard Frank, erwähne ich in meinem Unterricht mit zwei Erzählungen. Zum einen mit der Geschichte von der ersten Seite seines Romans „Die Räuberbande“, die er sich Tag für Tag abringt und immer wieder überarbeitet bis er endlich zufrieden ist. Eine präzise Sprache, die ohne überflüssigen Schmuck so dicht beschreiben und erzählen kann wie kaum eine andere. Außerdem erwähne ich, dass er als deutscher, bayerischer, Würzburger Schriftsteller lange Jahre umstritten blieb. Ein Pazifist, einer, der in und nach der Nachkriegszeit sieht, dass das Dritte Reich noch lange nicht vorbei ist. Dass man sich ungemein schwer tut, in seiner Heimatstadt eine Straße nach ihm zu benennen. Seine gesammelten Werke erscheinen in Ostdeutschland im Aufbau-Verlag.

Und so beginnt er „Die Räuberbande“, seinen ersten Roman:

Plötzlich rollten die Fuhrwerke unhörbar auf dem holprigen Pflaster, die Bürger gestikulierten, ihre Lippen bewegten sich – man hörte keinen Laut, Luft und Häuser zitterten, denn die dreißig Kirchturmglocken von Würzburg läuteten dröhnend zusammen zum Samstagabendgottesdienst. Und aus allen heraus tönte gewaltig und weittragend die große Glocke des Domes, behauptete sich bis zuletzt und verklang.

Die Unterhaltungen der Bürger und die Tritte einer Abteilung verstaubter Infanteristen, die über die alte Brücke marschierten, wurden wieder hörbar.

Über der Stadt lag Abendsonnenschein.

In meiner Würzburger Studentenzeit gab es an der Uni-Bibliothek eine Lesereihe, zu der oftmals recht bekannte Schriftsteller eingeladen wurden. So durfte ich eine sehr beeindruckende Lesung von Robert Gernhardt verfolgen. An einem anderen Termin trat Jörg Hube auf, den man vielleicht über die Grenzen Bayerns als Schauspieler aus dem Bayerischen Fernsehen kennt. Und er las aus dem Werk eines anderen bayerischen Schriftstellers: einem Bäckerssohn aus Berg am Starnberger See.

Oskar maria graf denkmal

Von Oskar Maria Graf erzähle ich natürlich, wie er als 10jähriger von seinem brutalen Bruder (der Vater war verstorben und der herrschsüchtige erstgeborene Sohn übernimmt die Bäckerei) verprügelt wurde, weil er heimlich Bücher liest. Letztlich aber berichte ich ausführlich und ausgeschmückt von der Geschichte des (bekannten) Textes „Verbrennt mich!“ Und die geht so: Graf hat Deutschland schon längst Richtung Österreich verlassen, weil er davon ausgehen muss, in die Fänge der Gestapo zu geraten. Er erfährt dort, dass seine Wohnung in München durchsucht wurde. Viele Manuskripte sind verloren. Viel schlimmer aber, so schreibt er, ist, dass seine Bücher, bis auf eine Ausnahme, auf die „Weiße Liste“ der Nazis geraten sind – sie also als gute Literatur im Sinne der NS-Ideologie gelten, als „Blut und Boden“-Dichtung. Jeder, der nur ein Hauch von ihm gelesen hat, dürfte das als typische Nazi-Ironie vorkommen. Entsprechend entsetzt ist Graf. Er schreibt einen Brief, in dem er, kurz gefasst, die Nazis auffordert, seine Bücher auch zu verbrennen – er könne mit der Schande nicht leben. 1934 konnte man es sich in München nicht nehmen lassen und setzt eine einzelne Verbrennung nur seiner Bücher an. Wie kann man mehr Ehre bekommen? Nicht unerwähnt lasse ich, dass er in New York einen eigenen Stammtisch gründete für Exil-Schriftsteller wie ihn. Außerdem ließ er es sich nicht nehmen, fast überall mit Lederhosen aufzukreuzen. Graf erzählt derartig viel, dass eine meiner Vorstellungen vom Ruhestand die ist, mit seinen gesammelten Werken im Garten zu sitzen und zu lesen. Warum ich ihn mag? Weil er viel von dem ist, was Bayern (in den Augen anderer) ausmacht: Bier, Lederhosen, Dialekt, Dorf, Kirche – aber weil er davon vor allem die anarchistische-augenzwinkernde Seite zeigt. Viele seiner Geschichten zeigen Dorfbewohner, die sich gezielt gegen jede Form der Obrigkeit auflehnen und dann an Gott glauben, wenn’s ihnen besonders gut in den Kram passt – wenn nicht, dann wird auch schon mal ein Kruzifix in den Ofen geworfen.

Nicht zuletzt ist er einfach eine beeindruckende Persönlichkeit (Link zur Oskar-Maria-Gesellschaft).

Ich erinnere mich an eine Geschichte, die ich nur so dem Sinn nach wiedergeben kann, nach der Zeit der Münchner Räterepublik. Graf hat in München von einem seltsamen Menschen namens Hitler gehört, der für seine wirren Reden bekannt ist, die er jedem aufdrückt, deren er habhaft werden kann. Also gerät Oskar Maria Graf eines Tages in dessen Fänge. Man geht in ein Lokal, Hitler redet, man bestellt, Hitler redet, Graf isst seine Dampfnudel, trinkt sein Bier, fragt höflich, ob er auch das Essen seines Gegenüber haben könnte, Hitler stimmt zu, redet. Das Essen ist zuende, Graf bedankt sich und will gehen – Hitler ist empört. Graf meint nur lapidar, dass er sich jetzt die ganze Zeit das Gerede hätte anhören müssen – nun wäre es nur gerecht, dass Hitler auch zahle.

Beide Schriftsteller werden in einem Atemzug mit Männern wie Georg Heym, Thomas Mann, Bertolt Brecht uvm. genannt, mit denen sie zusammentreffen und arbeiten. Brecht schreibt ein Gedicht über Graf, nennt ihn „einen der Besten“. Es existiert ein großartiges Bild mit Brecht und Graf, bei dem der Bayer einen riesigen Humpen in der Hand hält und den anderen Arm lachend um den fast schmächtig wirkenden Brecht legt. Man vergisst oft, dass der gute B.B. aus Augsburg stammt, aus dem bayerischen Schwaben.

Die Bücherverbrennung
Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen
Öffentlich zu verbrennen, und allenthalben
Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern
Zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte
Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der
Verbrannten studierend, entsetzt, daß seine
Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch
Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber.
Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich!
Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig! Habe ich nicht
Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt
Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch:
Verbrennt mich!

Leonhard Frank lässt sich nie wieder in Würzburg nieder, stirbt in München, Graf in New York.

Es gibt eine Leonhard-Frank-Schule – drei tragen den Namen von Oskar Maria Graf.

Keiner steht in bayerischen Lesebüchern.

Man mag mich korrigieren.

——————————————————————

Die Ursache – Erzählung von Leonhard Frank als Online-Text und u.a. als epub

Die Räuberbande von Leonhard Frank als u.a. epub auf AOL-Gutenberg

Eine sehr schöne Besprechung der „Räuberbande“

Oskar-Maria-Graf-Gesellschaft

Sendung BR Alpha zu Oskar Maria Graf, Schwerpunkt: Das Leben meiner Mutter

Geschichte – schnell gemacht 1: Erzählen

Zwischen Weihnachten und Neujahr gibt es in meiner Familie ein Gericht, welches nahezu heilig ist: Mohnpielen. Seit ich denken kann, machte meine Mutter es – und ich fürchtete die Zubereitung. Diese war verbunden mit Arbeit, auch für mich. Dafür musste nämlich Mohn gemahlen werden, in einer Handmühle, aber eigentlich musste man sagen, dass der Mohn gequetscht wird darin. Entsprechend anstrengend war das immer. In meiner Erinnerung stand ich Stunden in der Küche an dieser Mühle. In manchen Jahren noch bei meiner Tante im Keller, wo sie ihre an einen alten Tisch montiert hatte.

Meine Mutter macht es nicht mehr, weil es dort, wo sie mittlerweile wohnt, keiner sonst mag und sie nicht mehr die Kraft hat, diese Mühle zu bedienen. Ich, der ich eigentlich wenig traditionell und familiär bin (ich besuche niemanden an Weihnachten) , habe aber vor einigen Jahren angefangen, dieses Gericht für mich und meine Frau – manchmal auch für Freunde – herzustellen. Dazu benutzte ich bisher Fertigmohn aus dem Supermarkt. Dieses Jahr aber bat ich meine Mutter um die Mohnmühle – und als das Paket kam, beschlich mich wieder das Gefühl meiner Kindheit. Letztlich bemerkte ich aber, dass es wohl vor allem eine Frage des unterschiedlichen Zeitgefühls war. Im Jahr 2011, im Alter von 42, brauchte ich etwa 1,5 Stunden, mit kleinen Pausen, um 500 Gr Mohn zu mahlen. Nach meinem Empfinden war das eine gute Zeit. In meiner Jugend wohl empfand ich das als Ewigkeit.

Das Rezept ist ziemlich simpel, es gibt natürlich, wenn man im Internet sucht, viele verschiedene Varianten. Unser Familienrezept sieht so aus:

  • zehn Brötchen vom Vortag (müssen/sollten trocken sein)
  • 1,5 Liter Milch mindestens
  • 300-500 Gr. gemahlener Mohn
  • geriebene Zitronenschale
  • Grieß
  • Zucker
  • meine Ergänzung in diesem Jahr: echte Vanille (von der Nachbarin aus Ägypten mitgebracht) und gehackte Mandeln

Die Brötchen werden in dünne Scheiben geschnitten, etwas weniger als fingerdick. Mohn und etwa ein halber Liter Milch werden zum Kochen gebracht. Hinzu kommen geriebene Zitronenschale und Zucker – je nach Belieben, ich mache eher weniger hinein, weil ich den Mohngeschmack mag, mehr als Zucker. Abschließend kommt Grieß hinein, damit das Ganze etwas fester wird. Parallel dazu wird ein Liter Milch heiß gemacht, Vanille hineingegeben und Zucker. Nun kommt in eine oder mehrere Schüsseln jeweils: eine Schicht Brötchen, Milch (die Brötchen müssen das aufsaugen), Mohnmasse. Bis alles voll ist. Dann lässt man es am besten eine Nacht stehen, in der Regel auf dem Balkon. Gegessen wird’s nur zwischen Heiligabend und Neujahr.

„Mohnpielen“ ist ein Begriff, der wohl aus dem Schlesischen stammt. Meine Eltern stammen beiderseits aus Niederschlesien, genauer der Grafschaft Glatz (Kłodzki). Mein Vater war Jahrgang 1935, meine Mutter 1940.

Gefallen im Zweiten Weltkrieg sind mein Großvater väterlicherseits (verschollen in Russland) und der mittlere der älteren Brüder meiner Mutter (schon zu Beginn, beim Überfall auf die Niederlande). Irgendwo wird bei den ganzen Kriegserzählungen immer ein Verwandter erwähnt, der bei der Waffen-SS war und sich nach der Kapitulation das Leben genommen hat. Väterlicherseits war der älteste Bruder in der HJ. Die beiden älteren Brüder meiner Mutter waren Soldaten und gerieten in amerikanische und französische Kriegsgefangenschaft. Der älteste kam dadurch, wenn ich mich recht erinnere, nach Algerien oder Marokko. Der Rest der Familie flüchtete vor dem Herannahen der Roten Armee 1945 in Richtung Westen, zunächst zu Fuß, dann mit dem Zug. Ein Ergebnis war jedenfalls, dass die gesamte Familie über ganz Deutschland verstreut wurde: Hamburg, Dannenberg (Niedersachsen), Hildesheim, Bonn, Köln, Stuttgart, Töging, Bautzen. Jeder ging dahin, wo er Freunde hatte oder wo ihm Arbeit versprochen wurde: die beiden Älteren trafen in Gefangenschaft Bauern, die ihnen für die Zeit danach Arbeit anboten. So arbeiteten sie erst als Knechte, später dann aber als Lehrer – so wie ihr Vater, mein Großvater – und dessen Vater und Großvater.

Gemessen an einem Menschenleben ist der Abstand zwischen meiner Geburt und dem Zweiten Weltkrieg minimal, das waren wenig mehr als 20 Jahre. So wie meine Familie waren viele Familien betroffen – so oder so. Dies zeigt sich nicht nur in den Hunderten von Geschichten, die ich mir angehört habe – was wiederum wohl dazu führte, dass ich selbst Geschichte studierte.

In den letzten Jahren kamen einige Studien und Bücher heraus, die sich um die Folgen des Krieges in der zweiten Generation drehten. So z.B. „Wir Kinder der Kriegskinder“ von Anne-Ev Ustorf. Die Lektüre machte mir diesen geringen Abstand noch einmal klar, bzw. verschaffte mir einen anderen Zugang zu den ganzen mir berichteten Erlebnissen, von Krieg, Flucht, Ankommen in einem „fremden Land.“

Mein ältester noch lebender Onkel wurde 1924 in einem Dorf mit dem Namen Kaltwasser geboren, südlich von Breslau, in Laufweite zur tschechoslowakischen Grenze. Damals schien es üblich, dass die Lehrer vor der Festanstellung über die Dörfer tingelten – so auch mein Großvater – sodass jeder der älteren Söhne in einem anderen Dorf geboren wurde. Jeweils übrigens im entsprechenden Schulhaus, weil der Lehrer dort eben auch wohnte. Anfang der 90er machte er sich auf die Suche nach eben diesem Dorf und seinem Geburtshaus. Er fand es als Ruine, das Dorf selbst war ausgestorben. Ein paar Jahre später fuhr er wieder dorthin – zu seiner Überraschung fand er das Haus frisch renoviert, aber verschlossen. Er hinterließ einen Zettel und beim nächsten Besuch traf er den neuen Besitzer, einen jungen Mann mit seiner Frau und einem Kind. Dieser hatte das Haus als Ruine gekauft und renoviert es seitdem. Er stammte aus einem Dorf in der Nähe und wollte sich nach einem unsteten Leben dort niederlassen. Das Haus besitzt weder fließendes Wasser noch Strom. Geheizt wird über einen Ofen in der Küche, der gleichzeitig das Wasser, was direkt aus einer Quelle hinter dem Haus entnommen wird, anfeuert.

Im Sommer 2010 fuhren meine Frau und ich nach Zimne Wody (so der heutige Name von Kaltwasser), um ihn zu besuchen. Die Straße endete und der Pfad dahinter führte zum Schulhaus. Und in den folgenden Tagen hörten wir uns die Geschichten eines anderen Lebens an – eines Anfang der 80er staatenlosen Polen, der als Extremsportler zwischen den USA (als Ironman), Island (mit Rad und Skiern), Spanien und Schweden und Regensburg hin und her fuhr (das meiste mit dem Fahrrad). Er renoviert das Haus seit 18 Jahren und sammelt alle Zeugnisse des Ortes. Mein Onkel möchte sich dort begraben lassen.

Zu Beginn des Schuljahres habe ich eine Stunde in meiner 6. Klasse gehalten, bei der das Zeugnis meines Großvaters von 1916 im Mittelpunkt stand – als schriftliche Quelle. Dabei habe ich ein wenig von meiner Familie erzählt – irgendwie zum ersten Mal.

Kreatives Schreiben im DU 3 – Liebesbriefe / Möbelliebe

Es gelten auch und besonders für diese Varianten alle Hinweise, die ich bezüglich des Schutzes einzelner Schüler in Klassen schon mal angesprochen habe.

Auch diese Variante ist mal aus zwei anderen entstanden, deren Bezeichnung ich nicht mehr kenne. Ich gehe diese Form zügig durch, antworte anfangs nicht auf Fragen, jedenfalls nicht solange sie nicht schreiben. Wichtig, wie bei anderen Varianten ist für mich, dass sie nicht zu viel nachdenken, sondern einfach schreiben – manchmal versuche ich ihnen die Technik des automatischen Schreibens nahezubringen.

Also: ich betrete das Klassenzimmer (gestern wars mal wieder soweit: eine Klasse, die ich nicht kannte, musste vertreten werden) und teile Schreibpapier aus. Einzige Aufgabe für Schüler ist es, genau das zu tun, was ich sage.

1. Schritt: Sucht euch einen unbelebten Gegenstand im Klassenzimmer aus, den ihr interessant findet. Beschreibt ihn 5 Minuten lang schriftlich, und zwar möglichst genau, ohne ihn zu bezeichnen.

2. Schritt: Strich drunter setzen von einer Blattseite zur anderen. Ihr kennt diesen Gegenstand nun ganz genau. Versetzt euch nun in ihn hinein, betrachtet die Welt mit seinen Augen. Welche Sorgen hat er? Welche Träume? (usw….Hinweise geben je nach Einsatzfreude der Schüler). Schreibt 5 Minuten lang aus der Ich-Perspektive.

3. Schritt: Strich drunter setzen von einer Blattseite zur anderen. Es passiert nun etwas Wunderbares: euer Gegenstand verliebt sich in einen anderen Gegenstand. Er ist so beseelt von diesem, dass er einen Liebesbrief schreibt. Formuliert diesen. (Weitere Hinweise je nach Verständnis der Schüler:) Schreibt davon, wann es passiert ist und warum. Preist die Vorzüge des anderen Gegenstandes und was ihr besonders liebt. Berichtet von euren Träumen und Hoffnungen und warum ihr so gut zueinander passt.

Die Schreibzeiten sind nur so ungefähr. Wenn die Schüler erstmal angefangen habe, lasse ich sie schreiben. Es ist nur überschaubarer, wenn man sagt „5 Minuten“ als keine Zeitangabe zu setzen. Wenn es läuft, lasse ich es laufen. Der dritte Schritt braucht natürlich als Zeitangabe mindestens zehn Minuten.

Die Ergebnisse werden wieder eingesammelt und ich lese sie vor. Ohne Namen und so weiter.

Und freue mich jedes Mal über ein belebtes und verliebtes Klassenzimmer.

Ich führe das manchmal weiter, in dem ich die Briefe dann wieder austeile – natürlich an andere Schüler – und sie auffordere, eine Antwort zu schreiben.

Didaktischer Sinn des Ganzen? Nunja, Schreibkompetenz? Ich denke, wenn schon kompetent sein, dann doch wohl im Schreiben von Liebesbriefen. Dass man da nicht einfach reinkommt und sagt: „So, nun schreibt mal einen Liebesbrief…“ – ist ja klar.

Überhaupt: Perspektivenwechsel, so bizarr er auch sein mag, ist immer ein probates Mittel, um Schreiben in der Schule zu ermöglichen. Im Ergebnis wird schon viel und genug vom Einzelschüler drin stecken (Identitätsfindung), ohne dass es ihm im ersten Moment bewusst ist.

Und: Empathie. Man sollte sich schon mal in einen Stuhl versetzte haben, auf dem den ganzen Tag ein Hintern herumrückt und -drückt.

Schließlich: Spaß am Schreiben, Spaß, Spaß, Spaß!

Hier ausnahmsweise mal Proben dieser Briefe. Diese Ergebnisse sind alt, stammen meiner Erinnerung nach aus meinen ersten Jahren, 2002 oder so, ich denke, es war eine 10. Klasse.

„Kreatives Schreiben im DU 3 – Liebesbriefe / Möbelliebe“ weiterlesen

Kreatives Schreiben im DU 2 – Gestörtes Schreiben

Heute wieder ein schöner Tag: 2 Stunden regulärer Unterricht – plus 4 Vertretungsstunden. Ich erinnerte mich an meine Anfangsjahre, als sowas normal war und ich dachte, das fällt unter „Klappe halten und sich hochdienen“. Allein schon aus Selbstverteidigungsgründen habe ich mir einige Übungen zum Kreativen Schreiben parat gelegt, kombiniert und verfeinert.

Später habe ich solche Übungen dazu genutzt, den Schülern die Angst vor dem weißen Papier zu nehmen – einfach als Alternative zu dem genormten Schreiben. Und natürlich, um Spaß mit ihnen zu haben.

Meine Lieblingsform ist das „Gestörte Schreiben“. Jedenfalls meinte ich mich zu erinnern, dass die Ausgangsform so hieß. Die folgenden Ausführungen passen hervorragend in eine Unterrichtsstunde von 45 Minuten und man muss quasi nichts mitnehmen.

Ich selbst habe der Einfachheit halber immer einen Stapel kleiner Zettel (DINA 9 ?) in der Büchertasche.

Als Vorbemerkung

Der Umstand, dass ich das in vielen Vertretungsstunden in unbekannten Klassen entwickelt habe, hat dazu geführt, dass ich das eigentliche Schreiben mit einigen Schutzfunktionen versehen habe. Ich wusste nie, welche sozialen Gefüge mich erwarteten, sprich: wer in welcher Klasse der Außenseiter war oder wo welche Lehrer nicht angesehen waren. D.h. ich musste diese vorab schützen. Diese Schutzpunkte markiere ich hier kursiv.

Wenn ich in eine Stunde hineingehe, erkläre ich vorab nicht großartig, was kommt, sondern fange einfach an. Manchmal schreibe ich aus Spaß „Deutschtest 1“ an die Tafel oder alternativ in Bayern „2. Stegreifaufgabe aus dem Deutschen“. Dann habe ich die Aufmerksamkeit. Bisher habe ich, und das kann ich komischerweise wirklich so sagen, noch keine Klasse erlebt, die daran nicht Spaß hatte.

Ablauf (zur Abwechslung in der Ich-Perspektive)

Ich betrete den Raum und verteile stumm mitgebrachtes liniertes Papier. Die Schüler werden aufgefordert, unten vom Blatt einen fingerdicken Rand abzureißen und diesen wiederum zu halbieren. Die eine Hälfte sollen sie im Mäppchen verwahren.

Ich gebe meine Anweisung: „Ihr habt jetzt genau 5 Sekunden Zeit, um auf dieses Blättchen ohne Schwatzen und Abgucken das erste Wort aufzuschreiben, was euch einfällt.“ Danach sollen sie diese Blättchen zwei Mal (!) falten. Ich gehe rum und sammle diese ein.

Ich erkläre das weitere Vorgehen: „Ich gebe euch jetzt den Anfang einer Geschichte vor und ihr schreibt diesen, wenn ich es sage, einfach weiter. Ihr schaut nicht vom Nachbarn ab oder erzählt ihm, was ihr schreibt. Ihr schreibt ohne Unterbrechung bis zu dem Punkt, wo ich ein Blatt ziehe und euch das Wort vorlese, was darauf steht. Eure Aufgabe ist es dann, dieses Wort sofort in eure Geschichte einzubauen. Ich werde alle zwei Minuten ein Blatt ziehen.“ Auf Nachfrage versichere ich, dass nicht die Rechtschreibung bewertet wird, sondern es nur um die Geschichte geht. Ein Sinn ist auch erstmal nicht wichtig (der kommt von allein) – auch andere gelernte Vorgaben sind nebensächlich. Namen sollen sie nicht drauf schreiben (!).

Den Anfang der Geschichte erarbeite ich mit ihnen zusammen. Dazu lasse ich mir folgende Dinge nennen: Jahreszeit, Tag, Uhrzeit – manchmal noch andere Sachen. Daraus erfolgt dann der Geschichtsanfang: „An einem wunderschönen Mittwoch im Sommer wachte ich am Nachmittag in meinem Zimmer auf. Ich stand auf und ging durch den Flur zur Tür. Ich öffnete sie und plötzlich…….“

Die Erarbeitung dieser Stichworte erfolgt durch ein Zufallssystem. Ich frage nach der Anzahl der Haustiere (Wer hat mehr als 5 Haustiere? Wer hat mehr als zwei Hunde? oder Geschwister) und der Gewinner darf dann seine Lieblingsjahreszeit nennen usw. Erstens bekomme ich so schon einen Einblick in die Klasse – ich sehe, wer vorlaut ist, wer das große Wort führt usw. Und diejenigen, die Haustiere haben, sind oftmals die „netten“ Schüler – ja, ich weiß, alle Schüler sind nett….

Ich lasse sie schreiben und ungefähr alle 2 Minuten ziehe ich ein Wort und lese es vor. Was ich auf keinen Fall vorlese: Namen oder Begriffe, die irgendwie dazu geeignet sein könnten, „Codewörter“ für die besagten Außenseiter zu sein. Das erkläre ich nicht, das ist halt einfach so.

Ich lasse sie etwa 15-25 Minuten schreiben.

Dann sammle ich alle Blätter ein. (Ohne Namen!)

Ich habe mir nach der Anfangszeit zur Regel gemacht, die Blätter einzusammeln und selbst vorzulesen. Erstens schaffen es Schüler selten ohne zu lachen, ihre eigenen Texte vorzulesen. Außerdem kann ich so kontrollieren, was geschrieben wurde. Mir machen derbe Sprache oder Zombistories nichts aus – aber ich vermeide so, dass potentielle Mobbingopfer in der Klasse durch ihre Rollen in den Geschichten bloßgestellt werden. Es geht nicht darum wegzuschauen – ich frage immer die Klassenleiter, wenn mir etwas spanisch vorkam – aber im Rahmen einer mir unbekannten Klasse bin ich da in der Stunde selbst vorsichtig.

Ich frage nach Geschwistern, weitester Urlaubsfahrt oder beste Note in Mathematik. Der Sieger darf mir eine Zahl nennen zwischen 1 und der Anzahl der Schüler in der Klasse und ergänzt dabei oben oder unten. Währenddessen mische ich den Stapel durch und zähle dann die Zahl den Stapel runter oder hoch und lese dann die jeweilige Geschichte vor. Dieses „Zufallsprinzip“ akzeptieren alle und es verhindert oft das „Lesen Sie meine Geschichte vor!“-Gebrülle.

Dabei lese ich still immer zwei bis drei Sätze voraus, um die Beleidigungen o.ä. herauszufiltern und wegzulassen. Wenn es zu viel wird, dann sage ich einfach „Ach ne, langweilig“ und lese nicht zuende. Alles das mache ich natürlich freundlich bis lustig und so fühlt sich niemand angegriffen.

Ich schaffe nicht alle Geschichten. Den Rest überfliege ich nur und suche schnell die witzigen heraus.

Ich nehme alle Blätter wieder mit.

Abrundung

Vielleicht sind meine Schutzvorkehrungen etwas übertrieben, aber ich habe selbst die Erfahrung machen müssen, dass Schüler diese Sachen nutzen, um irgendwelchen anderen Schülern einen reinzuwürgen. Und ich habe bei Hospitationen erlebt, dass dies passiert, ohne dass der Lehrende es merkt.

Aber ich mache das auch in Klassen, die ich kenne und die mir vertrauen. Dann wird es wirklich spannend – auch wenn ich selbst mitschreibe. Es kommen auch lange Geschichten heraus. Die meisten Schüler sind von sich selbst überrascht, wie viel sie in der kurzen Zeit schreiben können. Und immer wieder entdecke ich Perlen.

Ich mache in einer Klasse nie dieselbe Übung mehr als zwei Mal, weil die Schüler dann gezielter ihr Begriffe nennen – und es dann wirklich schwierig wird. Aber in Abwandlung lasse ich sie auf die kleinen Blätter Kurzsätze mit drei Worten oder alternativ Fragen aus zwei Worten formulieren.

Ein Nebeneffekt ist oft beim zweiten Mal, dass man erkennt, was in der Klasse wichtig ist. Beim ersten Mal kommen oft Worte wie „Hallo“ oder „Schule“, später ist das dann interessanter, ohne abgedreht zu sein.

Auffällig fand ich es in manchen Klassen, wenn auf 50% der Zettel „Hunger“ steht.

Einmal habe ich die Blätter im Klassenzimmer liegen lassen und ein nachfolgender Kollege hat darin gelesen – das gilt es auch zu vermeiden.

Sozialkunde – schnell gemacht 11: Politische Weltkarte 1986 – 2011

Im letzten Jahr schon als spontaner Stundeneinstieg. Ich kam am Anfang einer Sozialkundestunde drauf, im Gespräch mit Schülern und nach der Lektüre einiger Karten aus dem „Atlas der Globalisierung“ vom Vorabend, einem wie ich finde tollen Kartenwerk von Le Monde diplomatique.

Ausgangspunkt des Gesprächs war die Frage, wieviel man eigentlich als Mensch im Alter der 10. Klässler von der Weltpolitik mitbekommt und welches Bild sich einem einprägt.

Tafelbild Politische Weltkarten 1986/2011

Also zeichnete ich ein schematisches Bild meiner politischen Welt von 1986 (als ich eben 15/16 Jahre alt war) und erfragte dann ihr Bild von der Welt. Es ging nur um das Bild, was sich in ihren Köpfen abbildet.

Aufgefallen ist mir, dass ich, obwohl ich mich sicher für einen politische interessierten Teenager gehalten habe, dass ich ein doch recht oberflächliches Wissen von der Welt hatte. Im Gegensatz dazu aber meine Schüler heutzutage viel mehr wissen, was natürlich auch ein Ergebnis veränderter Medienwelten ist, mich aber dennoch überraschte.

Weiterhin war es spannend Parallelen zu entdecken zwischen 1986 und 2011 – allen voran der kleine Atompilz, den ich für Tschernobyl und Fukushima einzeichnete. Ebenfalls, so fällt mir grad ein, hätte man den Nahost-Konflikt einbauen können, den ich mit 16 sicher auch schon mitbekommen, aber nicht richtig einordnen konnte.

PS: In der Mitte zwischen USA und UDSSR kann man übrigens links einen kleinen Kreis mit der Beschriftung „Wir“ entdecken – in einer anderen Klasse stand links „Wir“ und rechts „EU“. Das Thema südliche Welthalbkugel hätte man etwas vertiefen können. Außerdem fehlt natürlich der Zug der USA in Richtung der arabischen Welt. Ich werde es in diesem Schuljahr mal etwas ausbauen.