Ich kam erst 10 Minuten vor der Stunde drauf und dann ging es in der Stunde hauptsächlich darum: Eine Bundestagsdebatte.
Ich weiß gar nicht, warum ich das nicht öfter mache. Ich fürchte, dass ich meine SchülerInnen dauernd unterschätze. Im letzten Jahr habe ich im Lockdown etwas zum Thema Gesetzgebung gemacht und dann Auszüge aus der Debatte über ein Organspendegesetz analysieren lassen. Vor einer Woche stand dann das Thema wieder auf dem Stundenplan, diesmal aber zur „Bundesnotbremse“. Und ich hatte Sozialkunde just zu der Zeit, in der die erste Lesung stattfand. Also habe ich es laufen lassen, später dann aus der Mediathek geholt.
Quelle
https://www.bundestag.de/mediathek/ – Bundestagsfernsehen sozusagen.
Bundestagsdebatten zum Ansehen und Nachsehen. Eigentlich richtig klasse. Mit Tagesordnung und Unterlagen zum Nachlesen.
Ich habe folgenden Sitzungstag ausgesucht, 222. Sitzungstag, 16.4.2021:
https://dbtg.tv/fvid/7515421
Mein Umgang damit, das meiste im Gespräch
A) Argumentation
Natürlich ging es in erster Linie darum, die Argumentation der einzelnen Redner nachzuvollziehen und die wesentlichen Argumente herauszuziehen. Abschließend dann zu bewerten. Damit ist man schon ausreichend beschäftigt.
Als wir am Tag und live hineingingen, fielen mit aber noch viele Ebenen mehr ein:
B) Sitzordnung und Aufbau Bundestag
Aus einem Standbild heraus, Kameraperspektive von schräg links hinter dem Bundestagspräsidenten über das gesamte Plenum und vorn raus aus dem großen Fenster, wo die Säulen des Reichstagsgebäudes zu erkennen sind.
Was finde ich?
- Sitzordnung und Sitzeverteilung im Halbkreis (Grafik dazu ist im Internet schnell gefunden)
- links und rechts kann man erklären
- vorn das Stenografenpult, also erkläre ich gleich das mit (irgendwie gibt es eine feine Maus-Sendung dazu – da habe ich mein Wissen her über die BundestagsstenografInnen)
- Regierungsbank
- Zuschauertribüne
Wenn ich es erweitern möchte, dann zeige ich noch auf Googlemaps das Regierungsviertel und lasse sie erklären, wo die Bundesorgane sitzen und wo das Bundesverfassungsgericht ist und frage, warum es nicht in Berlin ist.
Ich erkläre dabei vor allem, dass im Plenum (der Versammlung) geredet wird über die Gesetze, deren Erarbeitung aber in den Ausschüssen vorab schon gelaufen ist und weise auf die Abgeordnetenbüros hin mit den halbrunden Türmen der Ausschussräume, die man auf dem Satellitenbild gut erkennen kann. Die SchülerInnen merken aber schnell, dass nicht nur über die Gesetze geredet wird.
Ich war oft genug mit Schulklassen in Berlin und im Reichstag, dass ich mich auf den Karten ordentlich auskenne – und mir jetzt wieder dachte: Ich muss mal wieder nach Berlin. Und wenn ich es nur in den Prater schaffe.
Ich muss nach Berlin.
C) Ablauf der Debatte
Am Tag selbst war der Filmbeitrag in der Mediathek länger, das heißt es wurden auch die Minuten vor Beginn der Debatte übertragen. Und dann konnte ich schnell die Frage stellen: Wer ist die mächtigste Person im Saal? (Merkel?) Dann gongt es, es wird schnell ruhig, man begibt sich zum seinem Platz. Herr Schäuble rollt herein.
Was finden die SchülerInnen?
- Nach dem Gong rollt Herr Schäuble herein und alle stehen auf, alle, auch Frau Merkel (Wer ist die mächtigste Person?)
- der Präsident begrüßt alle und erlaubt, dass sie sich setzen (Er begrüßt alle mit „Liebe Kolleginnen und KollegInnen“) ( Mächtigste Person?)
- er erklärt die Tagesordnung und erwähnt den Ältestenrat
- er gibt einen Ausblick auf die kommende Woche
- er erklärt den Ablauf und die Regeln in der folgenden Debatte
- er erteilt den einzelnen Rednern das Wort
Wer ist also die mächtigste Person?
Im Verlaufe des ersten Beitrags wird er noch einmal aktiv werden. Es gibt Zwischenrufe (was meine SchülerInnen besonders aufmerksam werden lässt – ein Schüler: die sind ja wie die Hooligans im Stadion) (!) während der Merkelrede. Der Präsident unterbricht und fordert auf, sich zu benehmen im Hinblick darauf, welches Bild man doch hier jetzt abgäbe nach außen in dieser ernsten Situation.
Ich meine, dass der Präsident dabei besonders nach rechts schaut.
Man kann mit den SchülerInnen überlegen, welchen Zweck solche Zwischenrufe haben.
D) Auftritte der RednerInnen
Frau Merkel ist die erste: Warum wohl?
Frau Weidel ist die zweite: Warum wohl?
Je nach Lage lassen sich die einzelnen Beiträge über die Argumentationen hinaus analysieren und sich z.B. fragen, welche Schwerpunkte die Redner setzen und warum.
Frau Merkel geht z.B. auf volle Krankenhäuser ein und besonders auf die Ausgangssperre. Erklärt dann genau, dass diese nur ein Bestandteil von mehreren ist.
Bei Frau Weidel fällt manchen SchülerInnen nicht nur der unangenehme Ton auf, sondern auch, dass typische Wahlkampfthemen erwähnt werden, wenn von „Clan-Hochzeiten“ und „Drogendealern“ gesprochen wird (Schüler: Was hat das denn mit Corona zu tun?).
Ich zeige noch Herrn Bartsch von den Linken, der zwischendrin auf Herrn Brinkhaus losgeht und ihm vorwirft, dasss die Union hier alle mit der K-Frage „belästigt“, wo es doch um wichtigere Dinge gehen würde.
Ein Redbeitrag im Bundestag erfüllt auch viele andere Zwecke.
Die Reden beeindrucken die SchülerInnen stellenweise. Vom Auftreten her, von den Argumenten und dem ganzen Ablauf im Bundestag.
Fazit
Das mache ich jetzt öfter. Die Lehrkraft kann an nur 20 Minuten mehr Politik sichtbar machen und Diskussionan anregen als mit jedem Zeitungsausschnitt und Arbeitsblatt. Das meiste habe ich mir spontan während der Stunde zusammengebaut. Arbeitsblätter lagen zwar auf OneNote, aber nun.
Habe neulich den englischen Begriff des „door knob teaching“ gelesen, also das Pendant zur Türschwellendidaktik. Irgendwie beherrsche ich es noch.