Manche meinen Lechts und Rinks kann man nicht velwechsern –

Werch ein Illtum (Ernst Jandl).

Mit dieser Überschrift steige ich oft in eine Sozialkundestunde über „Politische Denkfamilien“ ein. Diesen Begriff habe ich mal irgendwo aufgeschnappt (Ich meine bei der Bundeszentrale in einem Lexikon) und fand ihn für das Thema so passend, dass ich ihn gern verwende, was von Anfang an nicht leicht ist – vor allem, weil Viele bestimmte Vorstellungen von „links“ und „rechts“ haben, ohne dies aber wirklich zu reflektieren.

Erst heute las ich z.B. in der Zeitung ein Interview mit Bruno Jonas, wo er gefragt wurde, ob er denn nun ein linker Kabarettist sei. Auf diese schon nicht sehr überlegte Frage kam dann entsprechend eine ebenso wenig durchdachte Antwort: „Ich äußere mich nicht parteipolitisch.“

Also Lektion Nr. 1: Rechts und links sind keine Begriffe, mit denen man sich zu bestimmten Parteien einordnen kann. Wie z.B. kann es sonst sein, dass Heiner Geißler, CDU, gleichzeitig Mitglied bei attac ist, der Organisation, die (wie Geißler selbst) heftig und andauernd Kapitalismus und Globalisierung kritisiert?

Wer hat’s erfunden?

Der zweite Schritt meiner Stunde besteht darin, dass ich die Begriffe links und rechts links und rechts an die Tafel schreibe, eine horizontale Linie ziehe und den Schülern den Auftrag gebe, dass sie doch sich selbst und ihr politisches Denken einmal mit einem Kreide-Kreuz auf dieser Linie einordnen sollen. NATÜRLICH verlasse ich den Raum, wenn sie das machen.

Wenn ich den Raum wieder betrete findet sich meist ein ähnliches Bild: Viele Kreuze befinden sich in der Mitte der dreiteiligen Tafel, wenige ganz links, rechts aber will keiner so recht sein. Vereinzelt finde ich welche, selten.

Die Deutung lässt sich verschieden aufziehen.

Zum einen tun sich viele, nicht nur Jugendliche, schwer, sich politisch einzuordnen – viele Menschen verweigern sich auch, weil sie angreifbar werden. Dann tituliert man sich gern als jemand, „der sich nicht einordnen lässt oder will“. Dies soll dann von unabhängigem Denken zeugen, was es in der Regel nicht ist. Um aus dem Konflikt herauszukommen, macht man das Kreuz in der Mitte und glaubt, damit muss man keine Stellung beziehen.

Zum anderen frage ich danach auch einfach ins Plenum, was ihrer Meinung nach links und rechts bedeutet. Dann läuft alles in die Richtung, dass die Rechten ja die Nazis seien und die Linken sind (mittlerweile erst) diese Partei aus der DDR. Und rechts will keiner sein und links in diesem Sinne ist nebulös.

Eine dritte These bezüglich des Tafelbildes ist die, dass linkes Denken entwicklungstechnisch früher als auftritt als rechtes. Dies mag in der Natur der Sache liegen („Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz…) beleidigt aber vielleicht linkes Denken als kindisch. Dies aber beleidigt Kinder ebenso wie linkes Denken.

Also erkläre ich:

Übereinstimmend wird auf die Französische Revolution verwiesen, in dessen Verlauf die ersten Nationalversammlungen einberufen wurden. Hier wurden die Abgeordneten (ohne dass es wirklich Parteien gegeben hat) entsprechend ihrer Ausrichtung gesetzt: Links (vom Präsidenten aus gesehen) saßen die Revolutionären, Progressiven (Fortschrittlichen) – Rechts wiederum die Königstreuen, Monarchisten, Konservativen (Bewahrenden).

Gegensätze und/oder Alternativen

Nach dieser Erklärung sollen die verschiedenen Denkfamilien erarbeitet werden. Dies geht wunderbar mit Texten aus dem Politiklexikon der bpb.de:

Konservativismus

– Hauptbegriffe: Tradition, Bewahrung der aktuellen politischen Ordnung, Verteilung von Macht und Eigentum, Nation, starker Staat

Liberalismus

– Hauptbegriffe: Freiheit, Ablehnung/Einschränkung jeder (staatlichen )Einflussnahme,   Selbstregulierung der Wirtschaft über einen freien Markt

Sozialismus

– Hauptbegriffe: Freiheit UND Gleichheit, Abschaffung der Herrschaft über Menschen, Ablehnung des Kapitalismus, Schaffung von Gleichheit durch staatliche Eingriffe

Die Texte werden gekürzt. Im Überblick reichen oft die einleitenden Absätze, ohne genauer auf Unterströmungen einzugehen. Arbeitet man die Hauptbegriffe heraus, findet man Überschneidungen und Unterschiede.

Danach kann man den Denkfamilien aktuelle Parteien zuordnen. Parteiprogramme sichten. Wahlplakate analysieren und zuordnen lassen. Vor allem aber auch erklären, was in diesem Zusammenhang links- und rechtsextrem bedeutet, bzw. am Tafelbild des Einstiegs deutlich machen (ich gehe dann in rechte Ecke des Klassenzimmers, um zu erklären, dass das, was sie unter rechts verstehen, eigentlich rechtsextrem ist – Also: Überbetonung des „Volks“, Ablehnung/Unterordnung persönlicher Freiheit, Rassismus, radikal nationalistisch.

In diesem Zusammenhang habe ich neulich in einer Klasse ein sehr gutes Material der Bundeszentrale benutzt: „Was denken Nazis?

Grenzen

Links und rechts sind sehr grobe Begriffe. Vor allem, weil sie nicht wirklich etwas über politische Inhalte aussagen. Nicht umsonst spricht man ja auch innerhalb von Parteien von linken/rechten Flügeln, Traditionellen, Konservativen und Fortschrittlichen. Daher ist eine eigene Zuordnung schwer. Wenig überraschend werden links/rechts ja auch eher gebraucht, um jemand von außen zuzuordnen. Da ist man dann eine „linke Zecke“ oder „eine rechte Glatze“. Aber dann wiederum gibt es die „Linksfaschisten“ und „Godwin’s Law„.

Wenn man sich jedoch mit den Begriffen der „Denkfamilien“ auseinandergesetzt hat, wird das Ganze meiner Meinung nach schon leichter. Vor allem, weil man dann auch handfeste Grundbegriffe in Diskussionen und Auseinandersetzungen mit anderen hat.

Muss man sich politisch-gedanklich überhaupt verorten?

Generell bin ich der Meinung, dass es notwendig ist. Aber natürlich muss man mehr als das – sich auch mit dem beschäftigen, was man so „meint“. Notwendig vor allem, um sich zu wappnen gegen alle, die Redegewandtheit als Waffe einsetzen.

Für die Politische Bildung existiert der sogenannte Beutelsbacher Konsens, nach drei Grundpinzipien im Politikunterricht beachtet werden müssen: 1. Das Überwältigungsverbot, nach dem kein Schüler mit der Meinung des Lehrers überrollt werden darf, 2. Das Gebot der Kontroversität, nach der politische Themen, die in der Wirklichkeit umstritten sind, auch so im Unterricht dargestellt werden müssen und 3. das Ziel, den Lernenden inhaltlich und methodisch zu befähigen, dass er sich seine eigene Meinung bilden kann.

Klingen alle drei Punkte vernunftmäßig einsichtig, sind sie doch nicht ganz unumstritten. Ich erwähne nur zum ersten Punkt, dass hier schnell geschlossen werden wurde, dass der Lehrer keine Meinung äußern darf, um die Schüler nicht zu beeinflussen. Dies ist im laufenden Unterricht oft schwer, denn die Schüler fragen natürlich nach. Halte ich mich aus einer Meinungsbildung mit meiner Meinung heraus, bin ich ja doch ein schlechtes Vorbild – so als Meinungsloser. Nun ist man aber soweit zu sagen, dass eine solche Äußerung notwendig ist, wenn man sie am Ende eines schulischen Meinungsbildungsprozesses stellt und nicht an den Anfang. Und wenn man diese eigene Meinung auch begründet.

Wer es etwas genauer nachlesen möchte, ist im Netz an der richtigen Stelle.

Ein Linker?

In diesem Zusammenhang taucht in der genannten Stunde von mir auch ein Gedicht von Erich Fried auf. Dies enthält eine Definition von rechts/links, die ich persönlich sehr schön finde und für mich gern beanspruche – auch und vor allem als Lehrer. In dessen ersten Zeile heißt es:

Wer Kindern sagt
Ihr habt rechts zu denken
der ist ein Rechter
Wer Kindern sagt
Ihr habt links zu denken
der ist ein Rechter

Und es endet mit

Wer Kindern sagt
was er selbst denkt
und ihnen auch sagt
dass daran etwas falsch sein könnte
der ist vielleicht
ein Linker

Verunsicherungen (damit wollte ich eigentlich einleiten)

Ich lese mich grad ein in linke Positionen und Theorien: Autonome, Antifa, Kommunismus, Anarchismus. Veröffentlichungen dazu sind bunt. Zum Anarchismus gab es ein Comic (im Sozialkundeunterricht wird man oft mit Fragen / Anmerkungen bezüglich des Anarchismus konfrontiert), zur Antifa einen Theorieband, die Autonomen werden in einem Abriss behandelt und der Kommunismus findet seinen Ausdruck in einem Kinderbuch.

Diese Liste habe ich auch zusammengestellt, weil mich seit einiger Zeit irritiert, dass der Begriff „Kapitalismus“ in der öffentlichen Diskussion immer öfter auftaucht – ohne an sich in die Kritik zu geraten. Vor 20 Jahren existierte dieser aber noch als „Kampfbegriff“ und jeder, der ihn benutzte, bekam zu hören, dass er noch „nach Moskau gehen“ solle.

Mittlerweile aber darf man den Kapitalismus kritisieren, ohne Kommunist zu sein (zu müssen). Das überrascht mich.

Alltag in Tafelbildern

Freitagabend – was man da so macht? Sich vom Korrigieren abhalten.

Ich bin grad mal mein Camera-Upload-Verzeichnis in der Dropbox durchgegangen. Dort tauchten einige Fotografien auf von Tafelbildern, die ich hauptsächlich gemacht habe, um mich in der Folgestunde dran zu erinnern, wo ich stehen geblieben war. Wie gesagt – die Schulleitungsarbeit fordert ihren Tribut.

Die Highlights.

7. Klasse Deutsch: Was gehört in die Einleitung der Inhaltsangabe? Rahmen: Behandlung einer Lektüre.

Einleitunginhaltsangabe

 

Dieselbe Klasse, Folgestunde: Ausformulierung einer Standard-Einleitung.

einleitungausformuliert

Sozialkunde (10. Klasse): Der Politikzyklus als Werkzeug der Politischen Analyse. Beispiel: Ausstieg aus der Atomenergie.

Politikzyklus

 

Sozialkunde (10. Klasse): Der Politikzyklus am Beispiel E10

Politikzyklus E10

 

Geschichte 10: Themen der Kurzarbeit „Kalter Krieg“

Kurzarbeit

 

Deutsch 9: Erörterung – Stille Diskussion an der Tafel: Facebook ist böse.

Facebookboese

 

Deutsch 7: Eine komplett unvorbereitete Stunde gehalten. Einstieg war die Wiederholung der Wortarten, dann Wiederholung der Zeitformen. Dann ruderte ich, schaute zu Mehmet (Namen geändert) und bat ihn, vier deutsche Personalformen von „Ich sage“ ins Türkische zu übersetzen und anzuschreiben. Entsprechend konnte ich dann noch mal von Wortstamm und Endung anfangen und wir verglichen mal. Daraus entwickelte sich dann, dass mehrere Schüler in ihrer Muttersprache/oder sonstwie  beherrschter Sprache drankamen. So standen dann an der Tafel, von links nach rechts: litauisch, kroatisch, französisch, englisch, deutsch, türkisch, spanisch. Unterrichtsgespräch über Ähnlichkeiten und Unterschiede. Vermutungen darüber, woher das kommt. Rechts ein „Pater Noster“ erklärt, kennt man heute nicht mehr.

In der Folgestunde führte ich das dann fort, indem ich vom gotischen „Vater unser“ ausging und wir uns nach einer kurzen Übersetzung an die Worte für „Mutter“ und „Vater“ machten, wieder in den Sprachen des Vortags.  Anschließend ein Gespräch darüber, dass es offensichtlich überall die förmliche Anrede gibt (Vater) und die vertrauliche (Papa). Und trotz aller sprachlichen Unterschiede gibt es immer wieder Gemeinsamkeiten zu entdecken. Abschließend noch versucht das Wort „Himmel“ in die verschiedenen Sprachen zu setzen. Und schnell kamen doch einige drauf, dass dieses Wort zwei Bedeutungen hat und entsprechend auch immer mindestens zwei Worte dafür existieren: Himmel im naturwissenschaftlichen Sinn (Sky) und im transzendentalen Verständnis (Heaven).

Ich erinnerte mich daran, dass ich das „Vater unser“ schon mal an der Tafel hatte in einer 9. Klasse. Damals standen die ersten Zeilen auch in Vietnamesisch dort. Das war damals interessant, weil wir mit dem, der es übersetzen wollte, darüber reden konnten, wo speziell die Schwierigkeiten lagen – eben in Worten, die eine religiöse „Aufladung“ besitzen.

Was ich auch schon mal in einer oberen Klasse durchgeführt habe, die ähnlich sprachenreich war wie mein aktuelle 7., war das Übersetzen eines Gedichts von Hermann Hesse, und zwar „Im Nebel“. Die Sprachenkonstellation war recht spannend – es fand sich albanisch und arabisch darunter.

konjugieren

vaterunsergotisch

 

Das letzte Tafelbild hat auch eine etwas längere Geschichte. Bei uns sind die Hälfte der Klassenzimmer so angeordnet, dass man sie von den Gängen der anderen Hälfte aus durch große Fenster einsehen kann. Beliebter Umstand, der zu Störungen führt, wenn dort Leute Faxen machen und damit eben auf einen Schlag zehn Klassenzimmer ablenken – das überreißt aber auch nicht jeder.

Freitag zu später Vormittagsstunde hatte ich Unterricht in meiner 7. Klasse und gegenüber lungerten 10. Klässler rum, die das eben auch nicht umrissen. Ich also, erhöhter Blutdruck, rüber und, wie es ein ehemaliger Studienkollege gern bezeichnete, „die Wildsau gegeben“. Oder für meine pädagogisch zarter besaiteten Leser: „Die Schüler auf ihr abweichendes Verhalten aufmerksam gemacht und sie diskursiv und sehr nachhaltig um eine Änderung gebeten.“

Wie nachhaltig habe ich dann übrigens gemerkt, als ich wieder in meine 7. kam. Dort herrschte nach meinem Eintritt Grabesstille. Und nach einigen Sekunden war mir auch klar warum: Sie hatten mich natürlich ebenfalls durch die Fenster beobachten können. Offensichtlich war das auch ohne Ton sehr beeindruckend gewesen.

Jedenfalls habe ich dann mit der Klasse mal durchgesprochen, warum ich so aufgebracht war – dass sie eben durch ihr Verhalten mehr als eine Klasse abgelenkt haben usw. Wir spielten Disziplinarausschuss: in der Mitte standen die Vergehen, rechts die von der Klasse vorgeschlagenen „Strafen“. „Sandsack sein für Hr. Kuban“, steht da als erstes. Ich muss wirklich Eindruck gemacht haben. Es wurde dann „Plätzchen backen für die ganze Klasse“ draus.

Diszi

 

Sozialkunde – schnell gemacht 14: Kinderrechte ins Grundgesetz

Ich kann zurückgreifen auf einen alten Post über die Kinderrächtszänker.

Link zum Flugblatt „Schule“ der Kinderrächtszänker.

 

Die Aktionsgruppe „Kinderrechte ins Grundgesetz“ legt ihren Vorschlag vor, der folgendermaßen lautet:

Das Aktionsbündnis Kinderrechte schlägt dem Deutschen Bundestag und dem Deutschen Bundesrat vor, die Rechte der Kinder in einem neu zu schaffenden Artikel 2a in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen:

(1) Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit.
(2) Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes. Sie unterstützt die Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag.
(3) Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen.
(4) Dem Kindeswohl kommt bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, vorrangige Bedeutung zu.

Die Justizministerin lehnt ab, die Familienministerin ebenfalls.

Argumentativ etwas ausführlicher wird auf der Seite des Deutschen Kinderhilfswerks auf die Hintergründe eingegangen.

Was ich mir vorstelle, ist ein Einstieg ins Grundgesetz über die Frage, wo Kinder eine Rolle spielen, wie sich Grundgesetzpapier und Wirklichkeit zueinander verhalten und ob ein solcher Vorstoß gesellschaftlich etwas bewirken kann.

Braucht man also eine Sonderformulierung wie hier vorgeschlagen?

Weitere Hintergründe auf einem Heise/Telepolis-Artikel von 2007.

 

Sozialkunde – schnell gemacht 13: Voll psycho. Die Soziale Rolle.

Thema: Die Soziale Rolle und Rollenkonflikte

Der erste Teil des Sozialkundeunterrichts der zehnten Klasse ist dem soziologischen Teil des Faches gewidmet: Gruppe, Rolle, Norm, Werte. Ich mache den immer etwas ausführlicher, weil ich ihn selbst sehr spannend finde.

Heute ging es um die Soziale Rolle und Rollenkonflikte und ich mache seit Jahren denselben Einstieg, der in diesem Fall eine ganze Stunde tragen kann. Und er ist simpel: ich betrete das Klassenzimmer, setze mich zwischen die Schüler und schaue zu, was passiert – wenn nichts passiert.

Eine der heutigen Klassen reagierte deutlich und ich habe es selbst noch nie so lang durchgehalten. Danach dann klärendes Gespräch über das, was passierte.

Gut, ich betrete das Klassenzimmer, stelle meine Tasche ans Pult, lege meine Einstiegsfolie auf den Overhead (Artikel 1 des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes), lege die Arbeitsblätter aufs Pult, gehe dann in die Klasse und setze mich auf einen freien Platz.

Also, was passiert, wenn der Lehrer seine Rolle nicht annimmt?

  • Erste Reaktionen: Lachen.
  • Dann: Unsicherheit
  • Erste Fragen: „Was sollen wir denn jetzt machen, Herr Kubiwahn?“
  • Erste Vermutungen: „Der will uns wieder irgendwas zeigen.“
  • Wieder Unsicherheit: „Voll psycho jetzt.“

Nach dieser Phase dachte ich heute daran, abzubrechen und zu beginnen. Aber ich wollte mal sehen, wie weit es gehen kann.

  • Ein Schüler geht plötzlich nach vorn: „OK, dann mache ich den Lehrer. Er (Also ich!) will sicher, dass wir jetzt alles selbst machen. So gruppenmäßig, selbständig und so.“
  • Das Unterrichtsgespräch beginnt, der Schüler lässt die Folie vorlesen und stellt Fragen dazu. Die Schüler machen mit.
  • Dann stockt das Gespräch, die Schüler schielen zu mir. Nebengespräche beginnen.
  • Schüler vorn: „Darf ich abfragen und Verweise geben?“

Ich drehe die Schraube weiter: Hole mein iPad heraus, spiele mit voller Lautstärke Angry Birds.

  • Die Unsicherheit wächst wieder: Lachen.
  • Ein Schüler: „Da vorn liegen doch die Arbeitsblätter. Die können wir doch machen.“
  • Blätter werden ausgeteilt.
  • Es wird laut vorgelesen, reihum
  • Einer beschwert sich, dass mein iPad so laut ist

Ich breche dann ab. Beginne das Unterrichtsgespräch und schreibe die Ergebnisse an die Tafel.

  • Klasse gerät erleichtert in Gespräche über das Erlebte.

Was konnte gelernt werden?

  1. Rollen sind in uns derart stark verankert, dass wir verunsichert werden, wenn ein Gegenüber seine Rolle ablehnt, eben „aus der Rolle fällt.“
  2. In einem solchen Fall haben wir verschiedene Arten zu reagieren. In diesem Fall: Imitieren der wirklichen Situation, um „die Realität“ wieder herzustellen.
  3. Das Nicht-Annehmen der Rolle kann aber auch bestraft werden – als Beispiel fanden wir den Lehrer, der „Kumpel“ sein will – Sanktion der Klasse: Disziplinlosigkeit
  4. Soziale Rollen vereinfachen das Miteinander, weil sie Sicherheit geben bezüglich des Verhaltens von anderen Personen. Man wird berechenbar.
  5. Soziale Rollen erschweren das Miteinander, wenn man sich nur auf das erwartete Rollenverhalten zurückzieht, ohne einen persönlichen Touch. Als Lehrer ist man dann nur Schulbeamter.
  6. Rollen sind Erwartungen der anderen oder der Gesellschaft – das Verhalten in der Rolle hat nur bedingt etwas mit der Person zu tun. Rollendistanz ist manchmal sehr hilfreich im Umgang miteinander.

Bei der Reflektion gebe ich auch zu, wie anstrengend das für mich ist. Weil ich eben nicht „Lehrer“ bin in diesen Minuten. Und weil es für mich in diesem Moment auch kein passendes Rollenmuster gibt – jedenfalls keines, was auch für die Schüler akzeptabel wäre. Weil es ungewohnt ist. Weil mir ab einem bestimmten Punkt auch einige Schüler leid tun, weil ich sie so verwirre.

Ich habe mich in dieser Stunde auch schon mal auf das Pult gestellt, um von dort aus weiter zu unterrichten. Oder während des Satzes das Klassenzimmer für 5 Minuten verlassen.

Was für Lernziele dahinter stecken?

  1. Dass wir immer Produkte unserer Gesellschaft sind – immer aber auch diese Gesellschaft mitformen können.
  2. Dass wir uns trotz der Rolle auch mal fragen sollen, was wir da überhaupt so machen.
  3. Dass unterschieden werden muss zwischen Persönlichkeit und Rolle (mir hilft diese Unterscheidung in der schulischen Arbeit enorm).
  4. Dass Regeln/Rollen innerhalb von Gruppen Sicherheit geben – dass sie aber eben auch veränderbar sind.

Heute ist mir im Gespräch auch eingefallen, komischerweise zum ersten Mal, dass die Unsicherheit, die die Schüler gespürt haben, vergleichbar ist mit der Situation der Menschen in den neuen Bundesländern nach dem Zusammenbruch der DDR, alternativ nach Ende des Krieges. Eine gesellschaftliche Situation, in der viele Rollen und viel gesellschaftliches Verhalten plötzlich obsolet werden. Wo eine ganze Bevölkerung plötzlich neue Muster entwickeln muss, bzw. von ihr erwartet wird, vorhandene („westliche“) Muster zu übernehmen.

Und somit kann man gut überleiten zu den anderen, mehr politischen Themen in der Sozialkunde.

Deutsch – schnell gemacht 7,5 : Das vergessene Arbeitsblatt

Da war doch noch was….Das Arbeitsblatt. Also die ersten beiden Seiten sind’s, dritte Seite die Einstiegsfolie. Das Aufgabenfeld habe ich frei gelassen, weil da sicher jeder so seine Fragen hat.

heine_buechner_vormaerz

Ich habe wie gesagt, den Hessischen Landboten noch im Zusammenhang mit der Occupy- und 99%-Bewegung, ebenso mit Anonymous besprochen, weil ich doch gewisse Ähnlichkeiten sah.

Ein Arbeitsblatt – mehrere Anwendungen.