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5 Emotionen Schulleitung

Zitat zum.de Kategorie Schulleitung:

Ein Schulleiter ist normalerweise darauf geschult, keine Emotionen preiszugeben.

Mit Mitte 20, als ich auf die erste Hochzeit eingeladen wurde, dachte ich etwas zynisch bei mir, dass ich bisher ja irgendwie mehr Beerdigungen erlebt hatte und es gut sei, wenn jetzt die Hochzeiten kämen.

An meine erste Beerdigung kann ich mich noch gut erinnern, 1980. Ich war 11 oder 12 und nahm als Messdiener im vollem Ornat daran teil – also entweder mit Weihwasserkessel oder Rauchfass in der Hand. Der zweite Messdiener in meinem Alter war Markus, ein Junge aus meinem Block. Beerdigt wurde eine ehemalige Mitschülerin, die mit mir zur Grundschule gegangen war. Jemand hatte sie in einem Park nahe der Grundschule erschlagen. Ich weiß noch, dass man mir wohlwollenden Respekt aus der, überwiegend nicht katholischen, Nachbarschaft entgegen brachte, dass ich in dieser Rolle bei der Beerdigung auftrat.

Die zweite Beerdigung war 1984, als mein Großvater, der Lehrer aus Schlesien, gestorben war. Als Person hatte ich ihn kaum gekannt, eher durch die ganzen Geschichten. Er war letztlich auch die letzte Person meiner Großelterngeneration, die beerdigt wurde. Die anderen waren schon früher gestorben oder nie aus dem Krieg gekommen.

Auf der dritten Beerdigung war ich 19, gerade das Abi in der Tasche, aber noch vor der Zeugnisfeier. Mein Lieblingslehrer war gestorben, Klassenlehrer 9. und 10. Klasse, Konrektor an meiner Schule. Verbindungslehrer in der Zeit als ich Schülersprecher war. Sein Tod war irreal. Außerhalb der überfüllten Aussegnungshalle standen wir traurig herum. Zum Grab ging man schweigend. Mich überwältigte es in dem Moment, in dem ich ans Grab trat und seinen Namen dort las, und ich heulte los, wie ich selten wieder geheult habe.

Mehr jedenfalls als drei Jahre später mein Vater auf demselben Friedhof beerdigt wurde.

Nach dieser Beerdigungsphase ging ich dann direkt in die Hochzeitsphase über. Zwei Mal war ich Trauzeuge – eine der Ehen existiert nicht mehr. Die meisten Hochzeiten langweilten mich eigentlich. In der Regel war ich schon vor der Vorspeise betrunken, weil es ja immer diese Empfänge gab. Vorher wurde man zeremonienmäßig herumgeschoben, hatte irren Hunger, musste dann aber Zeug trinken. Bei vielen Hochzeiten brach unglaubliches Spießertum aus. Es war selten wirklich entspannend. (Außer die letzte bei dir, K. ! Danke dafür.)

Vor einem Jahr in meiner Geburtstagswoche whatsappte ich einen Kollegen und Freund an, der an einer anderen Schule arbeitete und einen Tag nach mir Geburtstag hatte. Ich war dort auch mal zwei Jahre – wegen ihm hatte ich dorthin gewechselt. Wir trafen uns nach meinem Weggang immer wieder mal, es wurde weniger, dann rafften wir uns wieder auf. Die Geburtstagsgrüße liefen gewohnt ruppig ab. Er war etwas geknickt, weil er zum ersten Mal eine Schülerin hatte, deren Mutter schon seine Schülerin gewesen war. Er war ein Jahr älter als ich, aber nun, mir war es in dem Jahr genauso ergangen. Nach einigem Hin und Her versprachen wir uns, dass ein Treffen in den Herbstferien unbedingt nötig sei und verabschiedeten uns.

Er starb zwei Wochen vor den Ferien, über Nacht. Einfach so.

Ich bin nicht zur Beerdigung gegangen. Ich habe es bisher nicht zum Grab geschafft. Ich habe Angst davor. Ich bin, zugegeben, seitdem innerlich etwas aus der Spur geraten, wenn ich auch nicht weiß, ob das die einzige Ursache war.

Gestern Nachmittag überrollte mich auf einer Autofahrt innerlich die Erinnerung an den letzten Oktober.

Wem wäre an meiner Schule geholfen, wenn ich von meinen Emotionen erzählen würde? Wem würde es helfen?

Eben.

6 Kommentare

  1. Ihnen wäre geholfen.
    Vielleicht gibt es ja eine Person oder eine Klasse, mit der man über Trauer und Schmerz reden kann.

    • tommdidomm

      Die Schulen haben inzwischen unter der Abkürzung KIBBS Kriseninterventionsteams entwickelt, die sich diesbezüglich stark und gut engagieren. Aber natürlich bin ich auch in Einzelgesprächen immer so offen, wie es helfen kann.

  2. BineBuch

    Ein Schulleiter ist ein Chef, ein Schul-Manager. Meine Erfahrung mit Managern ist: Viele von ihnen versuchen, ihre Emotionen zu verbergen, weil sie oftmals Entscheidungen treffen müssen, die für andere Leute unangenehme Konsequenzen haben, und sie glauben, dass es leichter für beide Seiten ist, wenn sie sich emotional distanziert geben. Innerlich frisst es sie aber trotzdem an.
    Was diesen Managern oft nicht bewusst ist: Ihre Umgebung, die Menschen, die mit ihnen zu tun haben, nehmen wahr, dass etwas nicht stimmt. Sie nehmen wahr, dass derjenige, der sich emotional distanziert gibt, eine Emotion unterdrückt, also etwas verheimlicht. Und Verheimlichen kostet Glaubwürdigkeit. Viele solcher Manager werden genau deshalb von ihren Untergebenen als falsch wahrgenommen. Oder: „Als Mensch nicht zu gebrauchen, und als Schwein sind die Ohren zu klein“ – den Satz habe ich in solchen Zusammenhängen schon öfters gehört und, wenn passend, auch selbst ausgesprochen. Weil nun mal jeder merkt, dass etwas fehlt, wenn derjenige nicht gerade ein grandioser Schauspieler ist – und machen wir uns nichts vor: das sind die wenigsten.
    Ist das bei einem Schulleiter anders? Jeder Lehrer – auch ein Schulleiter – steht mehrere Stunden täglich auf einer Bühne und wird von zwanzig bis dreißig Augenpaaren pro Stunde strengstens beobachtet. Und nicht jedes dieser Augenpaare ist einem sympathisch, nicht mit jedem Augenpaarbesitzer möchte man all seine Emotionen teilen – das ist alles verständlich. Und wenn man es falsch angeht, dann verspielt man am Ende noch seine Autorität … Vielleicht ist die Situation auf der Bühne, vor der Klasse, nochmal eine andere: The Show must go on!
    Aber wenn der Schul-Manager dann wieder in sein Büro geht und sich mit seinen Mitarbeitern befasst, spätestens dann sollte es keine Show mehr sein. Jedenfalls nicht nur und nicht immer. Es sei denn, man ist, wie bereits erwähnt, ein grandioser Schauspieler.
    Bist du das, Tommdidomm?

    • tommdidomm

      Hallo Bine, jetzt wollte ich auf deine letzte Frage gleich antworten: Aber du kennst mich doch. Aber es sind ja nun doch einige Jahre ins Land gegangen ;).
      Ich mag normal die Vergleiche der Schulleitung mit Managern nicht, aber im Kern kann ich dir sogar zustimmen. Diese Diskrepanz kann wohl nur überwinden, wenn man sehr sehr doll überzeugt ist von dem, was man anordnet oder dem System, in dem man sich befindet oder aber wenn man einen psychischen Defekt hat.
      In anderer Hinsicht, und das wäre wohl eine Erweiterung des Postings, empfinde ich das Wegdrängen von Emotionen allerdings sehr wichtig und da beherrsche ich es mittlerweile auch recht gut. Das betrifft den Wahnsinn eines normalen Vormittags, wenn ich mich in einer Klasse ärgere und dann in der Stimmung in mein Büro komme, um eventuell Eltern wegen Ihres Kindes zu beraten. Dann muss und kann ich den Ärger recht schnell nach hinten drängen, um nach außen entspannt und zuversichtlich zu wirken, auch wenn ich innerlich noch eine Minute vorher auf der Palme gesessen habe. In diesem Zusammenhang finde ich es wichtig.
      Liebe Grüße.

  3. >Wem wäre an meiner Schule geholfen, wenn ich von meinen Emotionen erzählen würde? Wem würde es helfen?

    Erster Gedanke: Dir und den Zuhörern. Aber da hatte ich vergessen, dass du in der Schulleitung bist. Die erzählt bei uns auch allenfalls einander so etwas.

    • tommdidomm

      Hm, und natürlich bin ich hier total schizo – absichtlich – denn ich weiß ja, dass KollegInnen dieses Blog lesen. Innerhalb der Schulleitung halte ich so etwas allerdings auch in der Regel zurück. Ich mag selbst nicht mit Befindlichkeiten hausieren zu gehen. Wie gesagt: Voll schizo.

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