18 Jahre Schulleiter: Abschlussrede

Öffentliche Rede
Ort: Aula, Realschule
Anlass: Abschlussfeier
Vorbereitungszeit: Eine Woche, 24h vor der Feier aufgeschrieben
Stil: recht frei gehalten, Stichworte abgelesen

Initiierende Idee: Ein Zitat der Schriftstellerin Cornelia Funke, was mir als Meme im Internet über den Weg lief. Ich ließ es über Power-Point an die Wand werfen:

Ich hätte mit 16 gern gewusst, dass das Einzige, was zwischen uns und dem Leben steht, die eigene Angst ist. Und dass man sie nicht füttern darf, indem man ihr nachgibt. Ich hätte gern gewusst, dass es keine Veränderung gibt, ohne dass man mit Angst dafür bezahlen muss, und wie wunderbar glücklich und frei es macht, Dinge zu tun, vor denen man sich fürchtet.

Da die Technik nicht einwandfrei funktionierte, musste ich anfangs etwas improvisieren. Ich habe mir nicht gemerkt, was ich da alles gesagt habe.

Aber das Folgende habe ich mir aufgeschrieben:

Ich weiß nicht, wie Sie es bevorzugen – wollen Sie die gute oder die schlechte Nachricht zuerst?

 Also, die schlechte Nachricht zuerst: Dies ist meine erste Rede zu einer Abschlussfeier.

Die gute: Man hat mir nur zehn Minuten gegeben.

Und ich habe mich dafür entschieden, über Angst zu reden.

Als ich vor fast drei Jahren überlegte, meine alte Schule nach zehn Jahren, 6 Jahre davon als zweiter und erster Konrektor, zu verlassen, hatte ich Angst.

Dort kannte man mich. Schüler wie Eltern, Kollegen. Man wusste, was auf einen zukam, wenn man mich im Unterricht bekam oder wann ich Witze machte.

Alles das wollte ich zurücklassen, weil ich merkte, dass ich noch mehr lernen muss, wenn ich wirklich mal Schulleiter werden wollte. Und der Schritt zu wechseln fiel mir schwer.

Als ich vor einigen Tagen mit einer Referendarin sprach, die ihre erste Stelle als Lehrerin antreten wird – an einer anderen Schule, sah ich bei ihr neben der ganzen Freude dieselbe Unsicherheit und Angst, die ich kannte: Eine neue Schule, neue Schüler, mehr Unterricht, mehr Aufgaben.

 Und ich sehe euch heute Abend.

Man sagt euch schon einiger Zeit so Sachen wie „Ja, ja, die schöne Zeit ist jetzt vorbei. Jetzt beginnt der Ernst des Lebens.“

Und es klingt wie eine Drohung.

Ihr steht am Anfang eines neuen Lebensabschnitts und man droht euch.

Das habe ich nie verstanden: Da freut man sich nach der Schule darauf, dass das Leben endlich anfängt und alle Welt redet nur davon, dass der angeblich schöne Teil des Lebens jetzt vorbei ist – der sollte doch jetzt verdammt noch mal anfangen.

Wer bekommt da nicht Angst?

Heute vormittag redete ich kurz mit zwei Schülern über mein Thema Angst, um zu sehen, ob das irgendwie passt. Und einer von beiden sagte, dass es nicht auf die Angst ankommt, sondern darauf, dass man sie überwindet.

Und letztlich ist es das, was ich sagen möchte: Habt keine Angst

  • Ihr habt viel gelernt – so viel, dass ihr davon getrost einiges vergessen könnt, ohne dass es auffällt – ihr werdet ohnehin Neues lernen
  • Ihr habt Freunde gewonnen – ihr verliert sie vielleicht aus den Augen, nicht aber das Gefühl dafür, was Freundschaft ist
  • Ihr habt euch selbst ein gutes Stück kennengelernt – versucht euch auch in Zukunft immer klar zu machen, wer ihr seid
  • Und ihr habt ein Ziel verfolgt und es erreicht – das war anstrengend, nicht immer ganz einfach, aber ihr seid da

Und morgen geht es weiter und ihr könnt euch immer wieder entscheiden:

Ist das das Leben,

was ich leben möchte?

Ist das der Mensch

den ich liebe?

Ist das das Beste, was ich sein kann?

Könnte ich stärker sein?

Freundlicher? Mitfühlender?

Ich entscheide mich.

Ich atme ein

Ich atme aus

und entscheide


PS: Der Text am Ende ist eine freie Übersetzung von folgendem Text aus dem Internet – eine Schülerin machte mich darauf aufmerksam danach, dass Meredith Grey eine Figur aus der Serie Greys Anatomy. Dieses Bild habe ich ebenfalls über den Beamer an die Wand geworfen.

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