Sozialkunde – leicht gemacht 15: Vom Fragen

Vorwort

Als ich in der 9. Klasse war, sind wir mit unserem Lehrer auf Klassenfahrt nach Münster gefahren. Dort gab es das übliche Programm, u.a. Führungen. Irgendwann in der Zeit danach wurde ich von meinem Klassenlehrer beiseite genommen und in ein Gespräch verwickelt, in dessen Verlauf er meinte, ich sei doch ziemlich intelligent. Im ersten Moment war ich baff, weil das so noch nie jemand zu mir gesagt hatte. Auf meine Nachfrage, wie er denn darauf käme, antwortete er, dass ihm das auf den Führungen in Münster aufgefallen sei. Ich gab meiner Verwunderung Ausdruck, dass ich dort doch hauptsächlich Fragen gestellt hätte. Ja, sagte er, aber das hätte meine Intelligenz deutlich gezeigt. Einer der Sätze, die ich mir bewahre bis heute – 30 Jahre später.

Vom Fragen in der Schule

In meinen 10. Klassen in diesem Schuljahr lasse ich in Sozialkunde Kurzvorträge halten über aktuelle politische Themen. Die ersten Vorträge, die ich hörte, waren eher enttäuschend. Dies vor allem, weil sie über eine Wiedergabe dessen, was man in den Zeitungen lesen, im Internet finden oder in den Nachrichten sehen konnte, nicht hinaus gingen. Sie waren eben vor allem Darstellung des Ereignisses, keine Vertiefung, keine wirkliche Problematisierung.

In den letzten Stunden wollte ich das thematisieren an einem x-beliebigen Inhalt und wollte sie zu einem Thema Fragen formulieren lassen. Und dann merkte ich das Problem, wieder mal. Das lag nämlich darin, dass sie zu sehr auf das gegenteilige Modell gepolt sind: nämlich Fragen zu beantworten. Klassisch: Sie sollen lernen, dann bekommen sie Fragen zum Gelernten und die Antworten sind das, was dann zählt und bewertet wird. Die Antworten stehen logischerweise schon vorher fest. Selbst Fragen zu stellen ist ihnen fremd, weil damit ja verbunden ist, etwas nicht zu wissen, was wiederum im Schulsystem als Niederlage Mangel einzuschätzen ist.

Im Kern also sind Fragen im Unterricht nicht dazu da, Wissen zu erlangen, weiter zu kommen oder etwas zu verstehen. Ja, ich weiß, natürlich dürfen Schüler im Unterricht fragen und dann erklärt der Lehrer es ihnen – diese Art Fragen meine ich aber nicht.

Saudi Arabien lehnt die Wahl als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ab – Fragen und Lernen

Das Thema der letzten Stunde lautete aus aktuellem Anlass: Saudi Arabien lehnt die Wahl als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ab. Der Bezug zur Schülerwirklichkeit mag auf den ersten Blick etwas fern liegen, aber man mag mir glauben, dass ich den Bezug herstellen konnte – dies hat aber mit Umständen zu tun, die Dritte betreffen, daher erwähne ich sie hier nicht.

Ich habe zu der Stunde nichts weiter vorbereitet als die Themenstellung herauszusuchen.

Der Aufforderung, Fragen zum Thema zu stellen, kamen die Schüler gewohnt zögerlich, aber nach Ermutigung dann doch flüssiger nach. Letztlich konnte ich zusammenfassend die Fragen untergliedern in 3 Gruppen, steigernd im Anspruch:

  • Wissensfragen: Wo liegt Saudi Arabien? Was ist die Hauptstadt? Wie heißen die Nachbarländer? Was ist der Sicherheitsrat?usw.
  • Erkenntnisfragen: Wieso lehnen sie ab? Wer lehnt genau ab? Welche Vor-/Nachteile hat das Land? usw.
  • Transferfragen: Welche Folgen wird dies haben?

Im weiteren Verlauf der Stunde aktivierten wir unser Vorwissen und konnten versuchen die Fragen zu beantworten. Und wie erhofft, konnte sich so das Bild etwas konkretisieren. Es halfen dabei folgende Informationen, die bruchstückhaft vorhanden waren:

  • Nachbarländer oder nah dran sind: Israel, Ägypten, Syrien, Irak, Iran, Jemen
  • Problematisch sind dabei: Israel, Syrien und Iran
  • Es gab Nachrichten, dass Saudi Arabien von Deutschland U-Boote, Leopard 2- und Radpanzer kaufen will
  • Fußball-Weltmeisterschaft soll „dort“ stattfinden – also eigentlich in Katar, welches ein eigenständiges Land darstellt und an Saudi Arabien grenzt
  • Saudi Arabien ist kein demokratisches Land
  • Es ist ein bedeutendes erdölexportierendes Land
  • Der Sicherheitsrat ist ein Instrument der UNO, die wiederum Friedenssicherung betreibt
  • Gab es da nicht eine riesige Waffenmesse?

Alle diese Informationen konnten der Klasse entlockt werden, ohne dass externe Quellen angezapft wurden. In einer Klasse habe ich lediglich mein MacBook an den Beamer und ans Netz gehängt und wir haben uns die Lage Saudi Arabiens bei Googlemaps angeschaut, bzw. eine Grafik mit dem Aufbau des Sicherheitsrates.

Wir haben also gelernt – ohne eine minutiöse Unterrichtsvorbereitung und mit vielen Fragen als Ausgangspunkt. Das weitere Unterrichtsgespräch verruchte zwischen diesen Einzelpunkten Verbindungen herzustellen. Dabei drehte es sich um das Sicherheitsbedürfnis von Saudi Arabien und die Abhängigkeit westlicher Staaten vom Öl.

Wie geht es weiter?

Natürlich habe ich uns ein Arbeitsblatt besorgt zum Thema, vom Aktualitätendienst des Schrödel-Verlags. Das werden wir bearbeiten. Überraschenderweise aber wird dies nicht alle Fragen beantworten, denn es konzentriert sich auf die Reformforderungen Saudi Arabiens, die in ihrer Notwendigkeit sicher nicht von der Hand zu weisen sind. Nicht gefragt wird nach den Gründen der Ablehnung, die in den Zeitungen nachzulesen sind: die Haltung der UNO im Syrienkonflikt, in dem Saudi Arabien tatkräftig die Rebellen unterstützt und die aus ihrer Sicht weichen Position beim Thema Iran und Nutzung der Atomkraft. Beides sind Umstände, die die Lage des Landes aus ihrer Sicht unsicherer machen.

Überraschenderweise aber werden auch in den Zeitungen nicht alle Fragen des Unterrichts beantwortet. Vor allem die Fragen, warum ein nicht demokratisches Land in den Sicherheitsrat gewählt wird und warum ein Land, das in den letzten Jahren zum besten Waffenkunden deutscher Firmen aufgestiegen ist, einen Sitz im Sicherheitsrat ablehnt.

Deutschland forderte übrigens im September Reformen.

Unterm Strich

Ich will mir hier keinen pädagogisch-didaktischen Heiligenschein aufsetzen, aber wir haben in dieser Stunde gelernt, ohne dass ich sie vorbereitet hätte im klassischen Sinn. Und müsste (Violinen im Hintergrund) Schule nicht so sein (Pauken): Lernort? (Finale ausblendend).

Gelernt:

  • Schüler wissen mehr als man allgemeinhin denkt
  • Sie bekommen viel mit von der Welt
  • Das Zusammentragen von Wissensbruchstücken kann ein Gesamtbild erzeugen
  • Fragen erzeugen Wissen, nicht die Antworten (bestätigt)
  • die Nachbarländer von Saudi Arabien
  • Antworten auf Fragen erzeugen immer wieder neue Fragen

Eine Antwort auf „Sozialkunde – leicht gemacht 15: Vom Fragen“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert