Öffentlich reden als Schulleiter: Abschlussrede 2024

Datum: 26.07.2024

Anlass: Abschlussfeier Realschule (Erste Rede an der neuen Schule)

Ort: Aula II

Vorlauf: Habe lang nachgedacht, einen Gedanken lange in meinem Kopf formuliert und wie so oft zwei Tag vorher verworfen. Diese Version am Abend vorher aufgeschrieben.

Ablauf: War unzufrieden wie üblich. Vor mir redeten (zum ersten Mal in meine Laufbahn) Ehrengäste aus der Politik. Ich habe beim Reden festgestellt, dass ich kein Ende hinbekommen habe. So saßen nach der Hälfte alle da und am Ende waren sie eher verwirrt. Wie üblich. Bin abgewichen während des Redens. Wie üblich. Aber: Die Technik hat zum ersten Mal funktioniert.

Ich mag den Tag der Abschlussfeier nicht seit ich Schulleiter bin. Vor allem nicht hier oben zu stehen und reden zu müssen. Das Schlimme daran ist nicht das Reden (Hallo? Ich bin Lehrer, ich habe das Reden erfunden), sondern, dass ich das ganze Jahr schon weiß, dass ich reden muss. Und es muss schlau sein…und …witzig.…ich tu mich da schwer, vorbereitet witzig zu sein. Oder schlau.

Ich habe auf der Abschlussfeier des Gymnasiums zwei Mal gehört, dass es ein Buch geben muss, in dem die besten Reden der letzten 40 Jahre drin sind, oder waren es 40 Reden aus dem letzten Jahr oder war das Buch 40 Jahre alt? Jedenfalls habe ich so ein Buch nicht. Letztes Jahr habe ich es mal mit Chatgpt versucht – „Chatgpt schreibe mir eine Abschlussrede für einen Schulleiter einer Realschule in Nürnberg 2024 aus der Sicht der Kaninchen, die hinter dem Schulhaus leben.“ Ich glaube, die meisten Leute waren hinterher verwirrt. Ich fands witzig. Das geht mir oft so. Dass ich es witzig finde und andere verwirrt sind.

Ob das heute Sinn gibt, müsst ihr entscheiden.


Sehr oft begleitet folgendes Bild meine Rede.

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Für mich hat es zwei Bedeutungen: Zum einen zeigt es, dass ich mich nicht an diesen 10 Minuten meiner Rede so aufhängen muss – es ist nur ein Moment in meinem Leben. Zum anderen will ich zeigen, dass euer Leben größer ist als dieser Moment und scheinbar wirklich unendlich groß.


Und ja, es kommt noch viel, viel Besseres und dieser eine Moment hier ist ein bedeutsamer Moment. Aber ich verspreche euch, es werden noch mehr kommen. Für jeden einzelnen von euch. Und viele bessere Momente.


Dieses Jahr habe ich ein anderes Bild gefunden, eine Grafik:

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Wenn ihr zurückschaut, habt ihr bis jetzt ein Leben gelebt. Ihr wurdet geboren und ihr könnt zurückverfolgen, wie es verlaufen ist. Es gibt einen Weg, der für euch offen war und andere die ihr nicht verfolgt habt.

Ab jetzt sieht es aber anders aus.

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https://www.linkedin.com/posts/pravin333_infinite-paths-in-life-focus-on-the-options-activity-6783002438912811008-U0Lx (das Bild soll von Tim Urban stammen: https://waitbutwhy.com)

Und jede grüne Verzweigung wird eine Entscheidung sein, in die eine oder andere Richtung. Für und gegen etwas. Ihr habt die Wahl.

Und nicht allein, dass ihr euch für etwas entscheiden müsst- jede Entscheidung, die ihr macht, ist nicht nur für etwas, sondern auch gegen etwas. Jedes Mal werdet ihr etwas gewinnen und etwas verlieren.

Diese Vorstellung ist oft etwas niederdrückend.


Vor einem Jahr bin ich von Nürnberg nach Amberg gezogen, in die Oberpfalz. Als ich die Kisten gepackt habe, überschlug ich im Kopf, wie oft ich das schon gemacht hatte. Es war der 13. Umzug in meinem Leben, durch drei Bundesländer, drei Regierungsbezirke in Bayern, Nabburg ist die achte Schule als Lehrer, die zweite als Schulleiter.

Ich finde die Erfahrungen in meinem „neuen“ Leben spannend, oft anstrengend, aber immer spannend – vor allem diese Sache mit dem Hochdeutschen.

Und die Gespräche mit Formulierungen wie

  • Das haben wir früher anders gemacht
  • Steigerung: Das haben wir 20 Jahre anders gemacht
  • Besser: Daran müssen wir uns wohl gewöhnen
  • Am besten: Gut, dass es jetzt anders ist

Ich habe viel hinter mir gelassen und ganz viel Neues entdeckt.


Apropos Veränderung: Ich habe gelesen, dass Wissenschaftler herausgefunden haben, dass sich die Zellen im menschlichen Körper alle 7-10 Jahre austauschen. Alle Zellen sterben ab und es werden neue Zellen gebildet – natürlich nicht gleichzeitig. Aber eben so Stück für Stück. Das bedeutet, dass man nach spätestens zehn Jahren völlig ausgetauscht ist.


Was ich mich dabei frage: Wenn sich mein Körper alle 7-10 Jahre völlig austauscht – bin ich dann eigentlich noch derselbe?


Ja, natürlich. Weil wir mehr sind als ein Beutel Wasser mit Zellen. Weil wir nach dem Sinn des Ganzen fragen können, wenn wir etwas entscheiden wollen.


Der Arzt und Psychiater Viktor Frankl, dessen Name und Einfluss in einem Atemzug mit Sigmund Freud genannt wird, hat mal geschrieben

Die Frage ist falsch gestellt, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen. Das Leben ist es, das uns Fragen stellt.

Er ist der Meinung, dass es nicht den einen Sinn gibt, der allgemeingültig ist – vielmehr sagt er dass jeder an seinem Ort, zu seiner Zeit in seinem eigenen Leben diesen Sinn selbst herstellen muss. Und zwar immer wieder aufs Neue.

Jeder einzelne ist der, der diesen Sinn mit seinen Antworten gestaltet. Und zwar immer wieder aufs Neue. Immer wieder an dem Ort, an dem er gerade ist und es kann nie der Sinn deines Nachbarn sein – oder womöglich eines ganzen Volkes oder einer Nation.

Aber wie kann ich diesen Sinn gestalten?

Viktor Frankl gibt dazu drei Antworten, sind nicht ganz einfach, wenn man länger drüber nachdenkt.

  • Indem wir uns Ziele stecken und anfangen dafür etwas zu tun,
  • indem wir Beziehungen zu anderen Menschen eingehen und
  • indem wir uns Inspiration von außen holen, aus der Natur, der Kunst, der Literatur

Das wichtigste bei allen diesen Entscheidungen und Zielen und dem Gestalten von Sinn ist aber, wie Frankl schreibt

Mensch sein heißt ja niemals, nun einmal so und nicht anders sein müssen, Mensch sein heißt immer, immer auch anders werden können.


Und wenn gar nichts mehr hilft:

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Das Bild kann man bei Amazon bestellen: https://us.amazon.com/Galaxy-Universe-Classic-Framed-Poster/dp/B08TY8BDZ2

Ich habe das Ganze grad in Chatgpt eingepflegt, weil ich so unzufrieden war. Das hat mir dann eine vereinfachte Form ausgespuckt.

Liebe Schülerinnen und Schüler,

heute ist ein besonderer Tag, an dem wir zusammenkommen, um euren Abschluss zu feiern. Ich möchte euch herzlich zu diesem wichtigen Ereignis gratulieren!

Ich muss zugeben, dass ich normalerweise nicht gerne vor euch stehe und reden muss. Nicht weil ich nicht gerne rede (ich bin Lehrer, ich rede gerne!), sondern weil ich immer das ganze Jahr über weiß, dass ich hier stehen und etwas Kluges und vielleicht Lustiges sagen muss. Das fällt mir manchmal nicht so leicht, vor allem das Lustige.

Wisst ihr, ich habe gehört, dass es ein Buch mit den besten Reden der letzten 40 Jahre geben soll. Oder waren es 40 Reden aus dem letzten Jahr? Wie auch immer, ich habe so ein Buch nicht. Letztes Jahr habe ich sogar versucht, eine Rede von ChatGPT schreiben zu lassen – eine Rede eines Schulleiters einer Realschule in Nürnberg 2024 aus Sicht der Kaninchen, die hinter dem Schulhaus leben. Ich glaube, die meisten Leute waren danach ziemlich verwirrt. Ich fand es aber lustig. Das passiert mir oft – dass ich etwas lustig finde, aber andere verwirrt sind.

Ob das heute Sinn ergibt, könnt ihr entscheiden.

Es gibt ein Bild, das mich oft begleitet, wenn ich hier stehe. Es soll mir zeigen, dass diese 10 Minuten meiner Rede nur ein kurzer Moment in meinem Leben sind. Und es soll euch zeigen, dass euer Leben viel größer ist als dieser Moment – es ist wirklich unendlich groß.

Ja, es kommen noch viele bessere Momente. Dieser Moment hier ist wichtig, aber es werden noch viele weitere wichtige Momente kommen. Für jeden von euch.

Dieses Jahr habe ich noch ein anderes Bild gefunden, eine Grafik:

Wenn ihr auf euer Leben bis jetzt zurückblickt, seht ihr einen Weg, den ihr gegangen seid. Aber ab jetzt ändert sich das. Jede grüne Verzweigung auf diesem Weg wird eine Entscheidung sein, die ihr treffen müsst. Ihr habt die Wahl, und jede Entscheidung hat Konsequenzen.

Es kann manchmal überwältigend sein, an all die Entscheidungen zu denken, die vor euch liegen.

Vor einem Jahr bin ich selbst umgezogen, und dabei ist mir aufgefallen, dass sich die Zellen im menschlichen Körper alle 7-10 Jahre austauschen. Das bedeutet, dass wir uns alle paar Jahre komplett verändern. Aber sind wir dann noch dieselben?

Ja, sind wir, denn wir sind mehr als nur Zellen. Wir sind Menschen, die nach dem Sinn des Lebens fragen können.

Der Psychiater Viktor Frankl hat gesagt, dass es nicht den einen Sinn des Lebens gibt, den alle folgen müssen. Jeder von uns muss seinen eigenen Sinn finden, indem er sich Ziele setzt, Beziehungen eingeht und sich von der Welt inspirieren lässt.

Das Wichtigste ist dabei, dass wir immer die Möglichkeit haben, uns zu verändern und neu zu werden.

Herzlichen Glückwunsch zu eurem Abschluss, und viel Erfolg für eure Zukunft!

Danke.

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