Ein Jahr jetzt an der neuen Schule. Anderthalb Jahre in der neuen Stadt. Bzw. im Vorort. Neulich im Unterricht rutschte mir zur Europawahl raus, dass in dem Stadtteil in Nürnberg, wo ich zuletzt wohnte, mehr Leute wohnen, als in der ganzen Stadt, in der sich meine Realschule befindet. Entsprechend waren die Wahlergebnisse dort auch genau entgegensetzt zu Nürnberg. Man hat so selten echte Aha-Erlebnisse, auch wenn es nur das ist, dass man kurz einen Blick über die eigenen Grenzen hinaus wirft.
Geht mir ja auch so.
Einen seltsamen Effekt hat meine 6jährige Schulleiterepisode in Nürnberg aber – und zwar, dass ich alles an meiner neuen Schule mit den Verhältnissen meiner Nürnberger Schule verglich. Was die Leute logischerweise genervt hat, aber auch eigentlich wenig hilfreich war, denn ich bin jetzt 27 Jahre im Schuldienst, habe also mehrere Schulen gesehen und Nürnberg war nicht mal die, an der ich am längsten war.
An der Schule, wo ich bisher am längsten war – 10 Jahre – war ich neulich, um den Schulleiter zu verabschieden. In meinem Grußwort erwähnte ich, dass der ursprüngliche Plan bei meinem Weggang war, dass ich als Schulleiter wiederkomme. Ich bin als Schulleiter wiedergekommen – aber eben woanders.
Manchmal läuft alles wirklich komisch.
In den Jahren, seitdem ich meine Bewerbung geschrieben habe, um diese Schule zu verlassen (das ist jetzt 8 Jahre her), wurden drei Kollegen beerdigt, zwei Schüler und eine Sekretärin. Und in den Sommerferien ging es so weiter bei den Tanten.
Europawahl Nürnberg-Gostenhof
Landkreis, in dem meine Schule liegt
Stadt meiner Schule
Es geht nicht darum, jemanden zu blamen. Die Wahlergebnisse haben mich weder in der einen wie der anderen Richtung überrascht. Die Perspektiven sind unterschiedlich – ich kann es nachvollziehen.
Was mich eher abstößt überrascht ist aber aktuell die Geschwindigkeit, mit der die sogenannte und selbsternannte Mitte über das Stöckchen springt, was ihr von Rechtsaußen hingehalten wird (oder hält sie eher selbst das andere Ende fest?). Was mich erschreckt ist, mit welchem Narrativ die sogenannte bürgerliche Mitte Stimmung macht. Allen voran der Millionärs-Vorsitzende der bürgerlichen Mitte, der jedem, der ärmer ist, die Bissen in den Mund abzählen will. Und am Ende wird keiner dabei gewesen sein.
Und wie bigott dies alles ist, lese ich in meiner Tageszeitung. Zum Glück gibt es keine Staus – ich bin beruhigt.
Und habe Kopfschmerzen vom Kopfschütteln.
Ich werde morgen 55 und habe mir nicht vorstellen können, das alles um mich herum so zu erleben.
Neulich im Auto auf dem Weg zur Schule – über die A6 in Richtung Prag, wo regelmäßig Polizei am Rand steht – stellte ich mir die naive Frage, wer uns in Zukunft noch aufnehmen wird, wenn wir hier wegmüssen.
Ich glaube, ich erwähnte es mal. Die Ansage meiner Psychologie-Seminar-Lehrerin am Ende des Referendariats (1999): Sie brauchen nach Ende des Refs 5 Jahre, um anzukommen. Ich erinnere mich nicht mehr exakt an die Worte. Dem Sinn nach benötigt man 5 Jahre, um wirklich einen Stand als LehrerIn zu haben. Ausreichend Erfahrung gesammelt und gelernt zu haben.
Wir haben das damals ein wenig belächelt, aber ich muss sagen, es war so. Die ersten Jahre waren unsicher, unruhig und erst mit der Zeit entwickelt man sich zum Charakter als LehrerIn und hat irgendwann einen Ruf, mit dem man arbeiten kann. Man weiß halt Bescheid. Ich habe in den 5 Jahren zwei Mal die Schule gewechselt, da hat es ein bisschen länger gedauert.
Als ich Schulleiter wurde, fiel mir das wieder ein und ich hatte mir bewusst vorgenommen, mir diese 5 Jahre zu geben. Dagegen spricht auch nicht, dass ich nach 1,5 Jahren meine Kündigung als Schulleiter formulierte und abgab (ich zog sie ein paar Monate später wieder zurück). Und doch habe ich gekämpft darum, den Kopf über Wasser zu halten.
Jetzt habe ich fast sieben Jahre hinter mir, habe gerade die zweite Schulleitung übernommen und in der vergangenen Wochen entdeckt, dass ich innerlich den wichtigen Punkt erreicht habe:
ich kann besser gerechtfertigte Kritik und ungerechtfertigtes Gejammer unterscheiden und zwischen Einzelmeinungen und strukturellen Unebenheiten
ich wache nur noch einmal im Monat früh auf und grüble über eine nebensächliche Begegnung oder abseitiges Gespräch nach
ich übe erfolgreich Gedankenstopp-Techniken und Affirmationen
Meine beste kam mir neulich, als ich mich durch eine Person (ich weiß nicht mehr genau, wer das war) in meiner Rolle als Chef angegriffen fühlte – was sicher nicht beabsichtigt war. Ich blieb äußerlich gelassen, aber schrieb danach grün in mein Notizbuch:
Ich habe den ganzen Scheiß hier nicht geschenkt bekommen.
Damit bekomme ich bestimmte Tage jetzt immer gut hin.
Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt.Bei Herrn Mess sammelt es sich auch.
Ich habe mich ehrlich nicht angesprochen gefühlt von dem Titel, ursprünglich. Vor allem, weil ich das hier nicht als „Bildungsblog“ ansehe, sondern einfach nur als meinen Blog. Also einen selbstkontrollierten Ort, wo ich ausprobiere.
Aber Schreiben
Dennoch: Wo hat es angefangen?
Ohne viel zu langweilen ganz kurz: Ich glaube für meinen Teil, dass es daran lag, dass ich mal den Wunsch hatte, Journalist zu werden. Und noch kürzer: Ich habe mir dazu die Aufnahme an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg vorgestellt. Und nun, ich hatte zu viel Angst davor. Nicht nur vor der Aufnahmeprüfung (https://henri-nannen-schule.de/bewerben/), sondern ganz allgemein vor der Unsicherheit des Berufs.
Warum Journalist: Weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich gern schreibe.
In’s Internet schreiben
Ich habe neulich notiert, dass meine Domain seit 2003 existiert, ich aber erst seit ca. 2010 im heutigen Rahmen blogge. Das kam erst durch das immer tiefere Eintauchen ins Internet, was wiederum mit dem Kauf des ersten iPads zusammenhing. Ich hatte vorher schon Blogs gelesen, ohne diesen Begriff irgendwie mit Inhalt füllen zu können: Jochen Englisch, Herrn Rau u.a.
Bei dem ersten, der mich beeindruckte, weiß ich leider nicht mehr den Namen. Es war ein, damals schon pensionierter, Schulleiter, anderes Bundesland, rustikal in seinen Aussagen. Einer seiner Sätze ist mir in Erinnerung geblieben: „Ich lese offizielle Schreiben erst dann, wenn ich mich verteidigen muss.“ So habe ich das in Erinnerung – und denke jeden zweiten Tag daran. Vielleicht lasse ich mir da mal was sticken, für die Wand hinter dem Schreibtisch. (Ich glaube, Felix Schaumburg kannte den Blog auch – erinnerst du dich?)
Ein zweiter, der mir dann auf die Sache mit dem Blog geholfen hat, weiß davon gar nichts und lebt in Texas: Miguel Guhlin. Sein Blog „Around the Corner“ existiert in verschiedenen Formen bis heute. Ein Post von ihm hat mich dann hineingeworfen: Building Your Personal Learning Network
Dort hieß es zum Einstieg:
As someone who awoke to that fact just two short years ago, I am continually astonished at the rapidity of change. In fact, I had my first — and so far, only — panic attack in July 2005. When driving down the highway to work, I realized that the world is changing faster than I can keep up.
The only way for me to respond to that panic attack was to seize control, to realize that I do have some measure of control over how I react to rapid, tectonic paradigm shifts that inflict terror because they transform the world around me. Not feeling it, huh? Well, that means you haven’t looked over the edge and seen it looking back at you.
The only way for all of us to deal with the current challenge to our particular approach to learning — aside from ignoring it completely, which is about as effective as ignoring an oncoming truck — is to seize the wheel and create our own learning network.
Als ein Mittel, um diese Panik-Attacke zu bekämpfen, propagierte er das Vernetzen mit anderen LehrerInnen mit folgenden vier Schritten:
Read: Read/watch/listen to the entirety of the content that you are presented with.
Evaluate: Consider what the content means to you, and whether or not it is a source of information that intuitively seems appropriate/acceptable for a task at hand.
Critique: Moving beyond evaluate, seriously reflect on the material and then form your own opinion of it.
Write Share your critique with others, so they can engage with you and the original content to develop a cohesive knowledge-product.
Der für mich wichtigste Punkt war letztlich der vierte – also nicht nur bereitstellen, was man gesammelt hatte, sondern es reflektiert und mit persönlichem Touch zu veröffentlichen.
Er stellte im weiteren Verlauf die Tools dafür vor, auch die ich mich nacheinander einließ.
Weiterhin war ein Zitat noch von Bedeutung (von einem Blogger, dessen Blog nicht mehr existiert):
A blog post is not (or at least, it shouldn’t be) a writing assignment you must prep for and deliver as a finished package. /…/ Instead of keeping your thoughts, notes, and conversations to yourself, post them.
An diesen Blogpost erinnere ich mich immer wieder gern, vor allem, wenn ich zu viel tagebuchlike schreibe. Denn eigentlich wollte ich von dem schreiben, was mich fasziniert, was ich ausprobiere, worin ich scheitere und was eben gut funktioniert.
In diesem Sinne ist das Blog auch ein Mittel von vielen, um auf dem Laufenden zu bleiben, einigermaßen jedenfalls.
Schulleiter sein
Gleichzeitig mit diesem Startschuss stieg ich 2009 in die steile Karriere Schulleitung ein. Ich kenne bis heute wenig bis wenig Schulleiter, die regelmäßig aus ihrem Alltag heraus bloggen. Arne Paulsen ist einer, Timo Off ein anderer, Jan-Martin und Hauptschulblues, (als ehemaliger) und endlich ist Herr Rau eingestiegen, also in die Schulleitung. Über Twitter kannte ich noch mehr, bin aber unsicher, ob diese auch Blogs führten.
Es gibt verschiedene Motivationen meinen Blog als Schulleiter zu lesen, vor allem natürlich, wenn ich der Chef der LeserIn bin.
Häufig höre ich aber von anderen SchulleiterInnen zwei Dinge:
„Ich würde auch gern, aber ich habe die Zeit einfach nicht.“
„Es überrascht, wie offen du schreibst.“
Das ist also, denke ich, meine Nische im Internet.
Ich schreibe hier, weil ich von dem berichten möchte, was ich arbeite. In meinem Kopf nenne ich das beim Schreiben gern den Serviceteil Bayerische Schulleitung. Ich schreibe von meiner Unsicherheit, meinen Selbstquälereien (die weniger werden), den Fehlern und bei was ich mich wohlfühle im Beruf.
Ich schreibe immer seltener über meinen Unterricht, mein Lieblingsformat dabei war/ist: „Deutsch, Geschichte, Sozialkunde – schnell gemacht“. Also kurze Anregungen für eine Unterrichtsstunde, wenn es mal schnell gehen muss (quick and dirty). Unterricht ist jetzt seit einigen Jahren als Schulleiter allerdings leider wirklich nicht mehr so doll – oft eher dirty.
Worüber ich noch gern bloggen würde und gern blogge
Manchmal mache ich längere Pausen zwischen den einzelnen Posts. Zwischendrin suche ich nach Formaten, die ich leicht mit Inhalten füllen kann. 5 Minuten Schulleitung habe ich an Jan-Martin verliehen. Vielleicht greife ich das wieder auf. Tagebuchbloggen habe ich in letzter Zeit versucht, aber dafür fehlt mir aktuell wirklich die Zeit.
Ich schreibe gern über’s Frickeln an Technik, weil ich aus solchen Geschichten von anderen oft sehr viel lerne über die technischen Sachen, die mich interessieren. Dies gebe ich dann auf meine Weise weiter. Derzeit viel Linux und Raspberry Pi, Joplin. Früher war es das iPad und die Möglichkeiten als digitale Lehrertasche.
Ich will mehr über das schreiben, was ich lese, vor allem, weil ich seit ca. 2 Jahren wieder mehr lese.
Fazit
Hinter fast allem, das ich schreibe, steht die Frage: Bin ich allein damit oder kennt jemand das auch? Und wichtiger: Wie gehst du damit um?
Hinter allem steckt, dass es provisorisch ist, nicht die Lösung, aber für auch rein gar nichts.
Nachtrag
Es gibt einen Moment, der mich am Anfang dazu gebracht hat, weiterzumachen. Denn die ersten Posts waren ja eher so ein Ruf ins Leere.
Dieser Moment bei mir war, als der erste antwortete. Für mich was das damals Felix Schaumburg https://www.schaumburg.xyz/ – der meiner Meinung nach zu wenig bloggt ;). Für diese Antwort bin ich ihm aber bis heute dankbar.
Ich habe gerade bei Herrn Rau den Blogeintrag zum Jubiläum gelesen und gratuliere von meiner Seite aus herzlich. Der erste Blogeintrag von 2004 beinhaltet ja schon die Grundstimme, die sich offenbar weitgehend durchgehalten hat.
Nach der Lektüre habe ich nachgedacht, wann ich angefangen habe und kam immer auf das Jahr 2003, in dem ich meiner Erinnerung nach die Domain kubiwahn.de angemeldet habe. Dieselbe Erinnerung sagt, dass ich bis 2010 nur bisschen gespielt habe, um Dinge auszuprobieren. Dann 2010 beginnt das Bloggen wie heute. Die Wayback-Machine belehrt mich eines Besseren. Auch wenn sie nicht ganz akkurat ist, denn in den Jahren 2016 und 2020/21 ist scheinbar nichts vorhanden.
Also startet am 23. April 2004. Eigentlich.
Mir fiel ein, dass ich einen (eher peinlichen) Prototyp ab 1999 betrieb: www.der-kubi.de. Entstanden im ersten Jahr nach dem Referendariat 1999/2000, als ich auf einer 2/3 Stelle mit Verbeamtungsversprechen in der Provinz festhing, ohne jemanden zu kennen, mit langen Abenden und Nächten, in denen ich HTML lernte und was so dazugehörte. Irgendwann verlinkt diese Domain 2004 dann auf kubiwahn.de.
Die erste Software für mein Internet-Anliegen hieß anfangs 1999/2000 PHPNuke, danach ein späterer fork Postnuke. Zwischendrin ab 2004 mit conpresso, mit dem ich auch die ersten Schulhomepages programmiert habe. Ab 2010 dann WordPress und dann ging es schon in die aktuelle Richtung.
Keine Ahnung also, wann mein Jubiläum ist. Dass mich Herr Mess als Urgestein tituliert, halte ich aber für übertrieben. Wenngleich ich das Treffen auf vielen Ebenen sehr angenehm und spannend fand. Aber dazu bald mehr, eventuell. Es wird dann darum gehen, wie es ist, wenn man Menschen trifft, denen man noch in persona begegnet ist, die aber schon, pathetisch gesprochen, Teil des eigenen Leben sind.