Erste Stunde Sozialkunde – Wortwechsel des Tages

Sozialkunde. Erste Stunde. Überblick über das Fach geben.

Das Fach gibt es an der bayerischen Realschule nur in der zehnten Klasse. Ich unterrichte es gern, sehr gern, weil es das dynamischste Fach ist. Weil ich selbst, was die Inhalte angeht, oft an meine Grenzen komme, wo ich selbst sagen muss, dass ich nicht weiter weiß. Weil es so viele aktuelle Themen gibt, wo ich selbst nach der Lektüre aktueller Berichte und Darstellungen mich kaum wissend bezeichnen kann.

Ich sage das meinen Schülern am Anfang. Ich sage ihnen, dass es im Laufe des Jahres dazu kommen wird, dass ich mal sagen werde, dass ich es auch nicht weiß, wieso dieses oder jenes so oder so ist. Dass wir an Fragen geraten werden, zu denen es keine/keine einfachen Antworten gibt. Und dass es wichtig ist, dass wir das aushalten können, wenn wir die Antwort nicht (auf Anhieb) wissen.

Vielleicht ist das Koketterie, aber es stimmt halt.

Wenn ich das Fach vorstelle und das Wort Politik in den Mund nehme, rollen manchmal einige Schüler mit den Augen.

Heute. Im Gespräch.

Ich: Was erwartest du/erwartet ihr vom Fach Sozialkunde?

Antwort Schülerin rechte Seite: Interessante und spannende Stunden.

Ich: (verunsichert) Wie kommst du jetzt dazu? Ich habe eher nach Inhalten gefragt.

Antwort Schülerin rechte Seite: Ich habe schon viele Geschichten über sie gehört.

Ich bin seit Februar an dieser Schule und am Wochenende 47 geworden.

Und manchmal bin ich überrascht.

Sommerferien Schulleitung: Und ihr seid alle nicht gemeint

Zugegeben: Meine Stille und Zurückhaltung in Postings über das Thema Schulleitung der letzten Zeit beruht nur zu einem Teil auf dem Stress und der Unruhe der Umstellung (und der Sache mit dem Hauskauf, der Renovierung und dem Umzug, neue Schule). Zum anderen habe ich noch nie so oft wie in den zurückliegenden Monaten auf meinen Blog angesprochen worden, auch eben von Leuten, mit denen ich jetzt zusammenarbeite. Das ändert relativ viel. Dachte ich. Und versuchte herauszufinden, was. Bin aber zu keinem echten Ergebnis gekommen.

Außer dass ich nachvollziehbarerweise noch etwas vorsichtiger schreibe, was meine schulleitungstechnischen Sachen anbelangt. Oder/und mich eventuell öfter in Gespräche darüber verstrickt sehen werde über das, was ich gepostet habe.

Aber Hey: Ihr seid alle nicht gemeint.

Daneben stellte sich in letzter Zeit auch ein wenig Überdruss ein, was diese ganze digitale-web-technische-social-medien-geschichte anbelangt. Vor sechs Jahren habe ich den Blog angefangen (und kann mich immer noch nicht durchringen, es DAS Blog zu nennen). Zeitgleich fing die Beschäftigung mit dem ersten iPad an, dann das iPhone usw. was eben so folgte.

Jetzt nach fast sechs Jahren sitze ich da und merke, dass ich für mich persönlich nicht ganz so weiterkomme, obwohl ich technisch hochgerüstet bin. Und eine der Umstände, die zu diesem Gefühl führte, war auch dass dieses ganze Digitale so viel Aufmerksamkeit und Konzentration absorbiert, dass ich mir selbst etwas fremd vorkomme. Und nein, ich bin nicht der erste, der an diesen Punkt kommt. Und ich mag es auch nicht dramatisieren.

Ich schiebe das nicht auf „das Digitale“ an sich – wie auch? Wenngleich meine Frau und ich manchmal denken und sagen, dass wir mit Internet und mobilen Geräten deutlich schwieriger durch das Studium gekommen wären, als  (zu Beginn) mit Schreibmaschine und Collegebooks.

Manchmal drängt sich der Gedanke auf, dass das meine verschobene/übertragene Nikotinsucht ist, die ich kurz vor Anschaffung des ersten Mac-Computers erfolgreich bewältigen konnte. (Gibt es nicht auch so etwas wie Suchtaffinität?) Aber ganz so einfach funktioniert das wohl nicht.

Ich erinnere mich an die Aussage des Zentralen Fachleiters für Deutsch, den ich vor mehr als 14 Jahren mal zu einer Fachsitzung eingeladen hatte. Im Gespräch kamen wir auf das Internet und er meinte, „für einen neugierigen Menschen“ sei das Internet die Pest. Aber ist auch das nicht zu euphemistisch?

Und doch – was ich manchmal vermisse, ist die Langeweile eines Sonntagnachmittags, die heute vertrieben wird von Youtube, Newsreader, Twitter usw. Und es bleibt nichts haften.

Und ja, ich gebe es zu, ich habe in den Ferien einige Sachen von Leo Babauta gelesen (auch noch als E-Book auf dem kindle). Sehr amerikanisch, sehr zen, aber doch recht spannend für mich.

Und Minimalismus war auch oft ein Thema. Und damit die Reduzierung von Besitz.

Und habe mich auf Seiten herumgetrieben, die sich um analoge Notizbücher und Füller drehten.

Und lese mit Andreas Moser mit oder inspiriere ihn – oder er wohl eher mich.

Man mag mich nicht falsch verstehen, ich will nicht den Paulus machen. Genausowenig dogmatisch wie ich mit dem Digitalen war, genausowenig will ich jetzt die Abkehr zelebrieren. Und es mag außerdem grad eine vielverzweigte Lebensphase sein, die sich nicht auf einen oder zwei Aspekte reduzieren lässt.

Aber unterm Strich sehne ich mich nach: Konzentration und – vorsicht pathos – Sinnhaftigkeit.

Und ich weiß: Ihr habt solche Probleme nicht.

Deshalb seid ihr ja auch nicht gemeint.


PS: „Und ihr seid alle nicht gemeint“ – ist ein Zitat aus dem Roman „Dies ist kein Liebeslied“ von Karen Duve. Es steht dem Roman als Widmung voran.

 

2 Minuten Schulleitung – Fragmente

Ich habe mich ehrlich immer gewundert, wenn man sich so überrascht zeigte, dass ich als Mitglied einer Schulleitung „so viel Zeit für Blogeinträge“ hätte. Eine „alte“ Freundin schrieb neulich, dass es ja nicht so schlimm sei, wenn ich noch so viel lesen könnte – bezugnehmend auf einige Postings zu Büchern.

Seit einigen Wochen zeigen sich jedoch die ersten Folgeerscheinungen des erhöhten Arbeitsaufwands durch den Schulwechsel: beständige Müdigkeit, innere Verkrampfung, größere Vergesslichkeit, planloses und unüberlegtes Essen, schlechter Unterricht, kein Abschalten, traumloser manchmal komatöser Schlaf, frühes Erwachen, bei dem ich dann die Todo-Liste des Tages durchgehe. Bis Mai hatte ich noch keine Golfrunde gespielt.

Dass ich nicht blogge oder nur sehr flach, hat nichts damit zu tun, dass ich keine Zeit hätte, zwischendrin. Vielmehr liegt es daran, dass ich in mir manchmal keinen Platz dafür habe. Normal laufe ich ein paar Tage mit so einem Posting im Kopf herum, formuliere, verwerfe, versuche grundlegend herauszufinden, worum es gehen und worauf es  hinauslaufen soll. Versuche herauszufinden, was ich eigentlich gerade so denke. Das funktioniert seit einigen Monaten nicht mehr – weil halt.

Ich hätte gern etwas zu Herrn Mess Blogparade zum Thema Stress hinzugefügt, war aber zu gestresst (Kalauer!). Während der EM-Phase  gluckerte dauernd eine Stellungnahme zum Thema Nationalismus/Patriotismus in meinem Kopf umher. Einige politische Tendenzen derzeit bereiten mir Kopfzerbrechen. Mein technischer Spielkram verändert sich, auch in Bezug auf Schule.

In zwei Wochen sind Ferien. Wie bei vielen anderen steht die ToDo-Liste schon zum Teil.

Aber auch das Hotel in Hamburg für Dockville ist schon gebucht.

Und dieses Posting ist nichts weiter als ein sinnloses Fragment.

Und nein, ich bin nicht niedergeschlagen, nicht depressiv auf die eine oder andere Weise. Ich bin nur ein wenig erschöpft und viel schlimmer: etwas orientierungslos, bzw. versuche mich grad in vielerlei Hinsicht neu zu orientieren. Und das ist anstrengender als ich dachte, vorher.

Matt Haig. Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben

9783423429139Über Kanäle drauf gestoßen worden, die ich seit einiger Zeit besuche.

Lovelybooks

Buchkolumne

Vor allem in diesem Fall letztere Seite, auf der ein Artikel zum Thema „Bücher gegen Depressionen“ veröffentlicht wurde. Auf der Facebook Seite wurde gefragt, ob man die Liste verlängern kann. Mir fielen dazu noch zwei Bücher ein, die ich zu Beginn der 90er Jahre gelesen habe:

Und ja, natürlich habe ich damals auch die einschlägige Selbstmord-Literatur gewälzt: Ohne wirklich den Hintergrund zu erfassen – Hand an sich legen von Jean Amery. Außerdem: Vom Nachteil, geboren zu sein von E.M. Cioran; Die Anthologie „Der Selbstmord“ hg. von Roger Willemsen.  Ein wenig Camus, Fernando Pessoa. usf.

Matt Haig liest sich manchmal unglaublich banal – nun, vielleicht ist „das Ganze“ mit den Gründen, am Leben zu bleiben auch banal.

Matt Haig kann aber an anderen Stellen recht bildhaft beschreiben, wie sich eine Depression mit Angststörung „anfühlen“ kann. Und die Liste mit „Prominenten, die unter Depressionen leiden oder litten“ ist doch recht umfangreich und ich ertappte mich auch beim plumpen „Wie kann so jemand depressiv sein, pffff“. An anderen Stellen wird aber ein guter Blick auf seine Ausprägung einer Depression mit Angststörung geworfen. Sein aus meiner Sicht bester Rat ist aber der Hinweis darauf, dass man nicht allein ist und nicht an einer Krankheit leidet, die nur einen selbst betrifft.

Literarisch kein großer Wurf, aber inhaltlich stellenweise überraschend und nachdenkenswert.

Das Buch wird einen Depressiven sicher nicht heilen. Vielleicht kann es den Gang zu einem Therapeuten aber erleichtern. Wenn ich recht nachdenke, kam Therapie als solche in dem Buch nicht vor.

Eine Leseprobe.