Fr221021 Dreifelderwirtschaft

Situationsbeschreibung

Ich bin aktuell überarbeitet. Das heißt, im Rückgriff auf die Sache mit dem Tracken der Arbeitszeit, dass meine Arbeitsstunden nicht mehr ausreichen, um alle Aufgaben zu erledigen. Ich schaffe an manchen Tagen nicht mal das, was der Tag sohergibt. Mehrere Aufgaben liegen auf Halde. Dazu kommt, dass meine innere Festplatte überläuft und ich erste Ausfälle bemerke.

Beispiel: Im Mai habe ich Büromaterial bestellt für die Organisation der Beurteilung. Die wollte ich jetzt rausholen und anfangen zu ordnen. Ich habe sie nicht gefunden. Ich habe die Sekretärin suchen lassen, ich habe selbst gesucht. Nichts gefunden. Dann habe ich sie noch mal bestellt, mit den Worten: Wenn die kommen, finde ich die alten. Dies trat drei Stunden nach der Lieferung auf. Die Sachen vom Mai hatte ich auf die Fensterbank gestellt, hinter mir, 1,5m von meinem Rücken entfernt. Dort habe ich nicht gesucht. Ich habe es bestimmt gesehen, aber mein Hirn hat es nicht eingeordnet.

Das meine ich mit Ausfall. Und das ist ein großes Beispiel, was mich verfolgt, die kleinen sind eher lästig, aber es gibt auch Vorteile von Vergesslichkeit. Dazu kommt vermehrtes Essen, um mich zu beruhigen, runterzukommen, mich zu bestrafen oder besser zu fühlen. Wenig Schlaf in der Woche, dafür Schlafkoma am Wochenende.

Problem

Ich unterrichte zu viel, mehr als doppelt so viel, als ich müsste. Das hat viele Ursachen (Lehrermangel?), aber es ist einfach so und wird sich nach den Herbstferien entspannen. Aber ich komme vormittags selten zu einer zusammenhängenden Arbeit. Der einzige Vorteil, den ich sehe: Ich bin mehr im Schulhaus unterwegs, werde öfter gesehen von SchülerInnen und wiedererkannter. Der Home-Office Tag am Dienstag hilft ein wenig Ordnung zu finden und mit den Beurteilungen voran zu kommen, aber der Tag hat auch nur 16 sinnvolle Stunden, also theoretisch 16 Stunden nutzbar.

Nachteile zahlreich (heute z.B.): Wenn ich so blockiert bin am Vormittag, muss ich Telefonate vor der Klassenzimmertür abhalten, wenn’s drängt.

Lösungen

Erstens, drei Mal täglich zu wiederholendes Mantra: „Ich bin selber schuld…schuhuld…Schuld! Schuld! Schuld!“

Zweitens, 3 Felder Wirtschaft.

Das habe ich mal in einem Referendarberatungsbuch gelesen. Als ich schon lang kein Reffi mehr war. Die Verfasserin empfahl aber zwei Wege, um mit Überarbeitung fertig zu werden. Ein Tipp war die Dreifelderwirtschaft, also dass man sich seine Klassen anschaut und sich dann im Wochenwechsel jeweils verstärkt um eine oder zwei Klassen kümmert, mit intensiven Vorbereitungen und gleichzeitig in den anderen Klassen eher so Wasser-und-Brot-Stunden hält. Guter Tipp.

Bin heute in einer 7. Klasse gewesen, habe Lektüren mitgenommen und sie lesen lassen und sie zwei Mal unterbrochen, um über Stil und Ausdruck im Hinblick auf ihre eigene nächste Schulaufgabe (Schilderung) zu sprechen. Die Unterbrechungen kamen nicht so gut an – also habe ich sie weiterlesen lassen. In meinem „normalen“ Unterricht sind sie seltenst so lang konzentriert. Vorteil: Ich konnte auf dem Gang telefonieren, ohne dass die Klasse eskalierte.

Auf dem Land

Ich bin abends von Nürnberg aus nach Osten gefahren, denn es ist Fischerkurswochenende. Habe zusammen mit dem Vereinsvorstand den Raum vorbereitet, dann griechisch gegessen, zu viel. Schließlich auf der dunklen Landstraße mit einem Becher Kaffee weiter nach Osten gedüst, weiter aufs Land. Und je länger die Fahrt dauert, desto besser geht es mir. Mein Leben läuft gut – es fühlt sich halt nicht jeden Tag danach an.

Samstag

Do221013 Arbeitszeit

Ich bin oft wie ein Kind.

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Ich habe Ende des letzten Schuljahres angefangen, meine Arbeitsstunden zu tracken und aufzuzeichnen.

Erkenntnis 1: Arbeitszeit fühlt sich sehr unterschiedlich an.

Beispiel: Sitze ich in meinem Büro, fülle Sachen aus, telefoniere, führe Gespräche und organisiere, dann habe ich nicht das Gefühl, wirklich gearbeitet zu haben.

Beispiel: Führe ich Konfliktgespräche, renne ich Sachen hinterher, die ich verplempert habe, werde ich alle zehn Minuten gestört, ruft der Sachaufwandsträger an, dann habe ich das Gefühl, dass ich sehr viel und hart gearbeitet habe.

In beiden Fällen arbeite ich vielleicht dieselbe Stundenzahl auf die Uhr, aber im zweiten Beispiel wiegt jede Stunde doppelt.

Erkenntnis 2: Arbeit ist Arbeit und Feierabend ist auch

Ich konnte und kann leichter entspannen, wenn ich irgendwann am Ende des Tages meine 8 Stunden auf der Uhr habe. Dann klatsche ich in die Hände und mache mein Radler auf. Das fühlt sich gut an.

(Empfehlung: Dunkles Radler aus der Brauerei Bruckmüller in Amberg)

Erkenntnis 3: Ich bin zu dumm zum Rechnen

In den ersten Tagen des Trackens habe ich gemerkt, dass ich nach Gefühl meine 8 Stunden zusammen habe, aber in Wirklichkeit waren es nur sechs. Also habe ich mich zusammengerissen und bin erst aus der Schule, wenn ich 8 Stunden zusammen hatte. Dann kam ich heim und dachte: WTF…ich muss ja noch Unterricht vorbereiten.

Erkenntnis 4: Ich lerne auch nicht dazu.

Tagelang habe ich meine 8 Stunden in der Schule runtergerissen. 7:45 bis 16 Uhr.

Und irgendwann habe ich gemerkt: Das Konzept Pause ist wirklich nicht mein Ding. Pause ist, wenn ich zehn Minuten nach Hause fahre.

Ich nutze auf dem iPhone die App Hours. Versuche die Anzahl Kategorien niedrig zu halten.

Es ist nach 8 und ich muss noch Unterricht vorbereiten,also komme ich noch auf 8 Stunden. Habe aber vergessen, dass ich grad noch KollegInnen supportet habe im Chat.

Die Adam-Klein-Straße in Gostenhof, wenn man im Herbst durchradelt. Ich lass die Größe mal so. Da hinten wohne ich irgendwo.

Mi221012 Gleich machen

Ich weiß nicht, woher das kommt, wenn man so Produktivitätspropaganda liest, das auch sinnvoll findet, aber nie so richtig umsetzen kann. Dann aber irgendwann, irgendwann, klickt es, ohne dass man noch dran denkt und dann plötzlich macht es Sinn.

Einer dieser Punkte ist: Dinge gleich machen. Wahnsinn.

Zu diesem Punkt beobachte ich mich in letzter Zeit etwas mehr als sonst.

Etwas gleich machen ist in folgenden Handgriffen ein ständiges Mantra:

  • Dateien speichern, an dem Ort, wo sie hingehören und dann einen passenden Namen geben
  • Einen kritischen Anruf „sofort“ (am selben Tag) beantworten, telefonisch
  • Die Hausaufgaben, die ich im Unterricht gebe, gleich in Untis einzutragen und mir selbst auch aufzuschreiben
  • Einen Termin gleich in den Kalender eintragen
  • eine wichtige Email gleich beantworten und wenn auch nur mit „Hab’s gelesen, melde mich später.“ (Notiz im Kalender!)
  • wichtige Notizen gleich aufzuschreiben

Wichtige Erkenntnis: Wenn ich es nicht „sofort“ mache, mache ich es nie. Ein wichtiger Marker für mich in meinem Selbstgespräch ist dann immer: „Wenn ich jetzt denke >das mache ich später<, dann heißt das >nie< – darf ich diese Aufgabe nie machen? Wenn nicht, dann jetzt.“ In der Regel (in der RFgel? So oft nun auchwieder nicht, leider, aber öfter) mache ich das dann sofort, weil ich weiß, dass das Nichttun irgendwann dazu führt, dass ich mehr Zeit investieren muss, um das wieder glatt zu bügeln, als ich anwenden müsste, es gleich zu machen. Alternatives Vorhaben, es später zu machen, wenn man Zeit hat – dasselbe Ergebnis: nie.

Und eigentlich kommt dann noch diese 2-Minuten-Regel dazu (GTD): Was du in zwei Minuten machen kannst, mach’s sofort.

Manchmal macht das alles Sinn.

Heute Schulleitertagung. Drei Dinge entdeckt, die ich schon hätte machen müssen. Zwei davon wusste ich mal, das dritte nicht mal das.

Abends in eine Grundschule gefahren, Infoabend der weiterführenden Schulen. Ich hatte den Termin zum Glück vor zwei Tagen wieder erinnert.

Heute Fahrrad gefahren, quer durch die Stadt und wieder zurück. Auch hier Glaubenssätze überwunden:

  • viel zu umständlich mit dem Rad
  • Das wird dir nur geklaut, wenn du es so lange irgendwo stehen hast
  • Im Auto können die Unterlagen besser transportiert werden

Herbst in Nürnberg.

Di221011 Arbeiten – Glaubenssätze

Wie schon ein paar Mal am Rand gesagt, fallen mir immer wieder Glaubenssätze ein, die ich meine, überwinden zu können.

Mein letzter überwundener: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Ich habe Folgendes festgestellt: Am Wochenende wache ich oft auf und denke bei mir: So, jetzt ordentlich arbeiten und dann Wochenende, Freizeit, Party, Spaß. Und dann…ja, die alte Leier. Ich kruschel rum, ich sortiere, schiebe das eine von der Ecke in die andere…und irgendwann merke ich, dass ich nichts gearbeitet habe oder jedenfalls nicht in dem erwünschten Maße, das als Belohnung dann Vergnügen vorsähe.

Und irgendwie habe ich es dann abends aber doppelt vergeigt: Ich habe weder ordentlich gearbeitet, noch habe ich mich vergnügt.

Jedenfalls habe ich neulich mal angefangen, es umzudrehen am Wochenende, bevorzugt am Samstag: Erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Und ja, ehrlicherweise habe ich es dann zur Arbeit auch oft nicht mehr geschafft.

Aber: Ich habe mich dann mal vormittags aus dem Bett aufs Sofa bewegt und dort ein Buch zur Hand genommen, was schon ewig dort lag. Und der Hammer war: Ich konnte ordentlich lesen, lang, ausgiebig. Jedenfalls deutlich konzentrierter und länger als am Abend. Weil ich nicht so ausgelaugt war – (hust), vom Ausweichen vor der Arbeit.

Am Ende jedenfalls zufriedener als vorher.

Ich weiß, Ihr seid anders.

Neuharlingersiel

14 Jahre Schulleiter: öffentlich reden

Anlass: Zeugnisübergabe an AbschlussschülerInnen

Ort: Turnhalle der Schule

Zeit: nach 16 Uhr, Dauer: etwa 12 Minuten

Vorbereitungszeit: Erste Variante am Dienstag, also drei Tage vorher, aufgeschrieben – aber es fehlt etwas drin. Zweite Variante mit neuem Gedanken erst am Vortag entwickelt.

Empfinden: Hat nicht so gezogen, die Überleitungen passten nicht, zu wenig Zeit gehabt, daran zu schleifen. Unzufrieden wie selten.

Originalmanuskript – das Zitat am Ende war nur dem Gefühl geschuldet, was ich eigentlich rüberbringen wollte. Habs nicht vorgelesen.

Ah, ist das nicht schön? Endlich wieder alles normal. Endlich.

Endlich wieder normal.

Oh, so schön, alles normal, ganz normal.

Normal.

Ich denke mir immer, wenn in letzter Zeit dieser Satz kommt, dass er eigentlich bedeutet: Endlich wieder normal – also endlich wieder alles wie vorher – oder schlimmer: wie früher.

Früher, als alles noch normal war. Ach wie schön.

Am Anfang meines Sozialkundeunterrichts lernen die Schüler Adolf Portmann kennen, einen Biologen und Anthropologen – also jemanden, der die Entwicklung des Menschen erforscht.

Er sagte mal, dass der Mensch eigentlich eine Frühgeburt ist. Er stellte provokativ fest, dass der Mensch erst ein Jahr nach der Geburt ungefähr den Entwicklungsstand erreicht hat, den ein Elefantenbaby schon direkt nach der Geburt zeigt. Also z.B. die Laute der Artgenossen verstehen, selbständig fressen und gehen können.

Für das Elefantenbaby ist das alles normal.

Stattdessen der Mensch: Wird geboren und schreit. Nix ist normal.

Der Mensch muss das alles lernen, oft mühsam – weil es nicht normal ist für ihn.

Manche Forscher betrachten das eigentlich als die Stärke oder besser ein grundlegender Antrieb für den Menschen, der ihn antreibt.

Oberflächlich gesehen, scheint dies ein Nachteil zu sein, dennoch hat sich der Mensch durchgesetzt – weil es nämlich auch ein Vorteil ist: Er kann nämlich lernen und sich anpassen, an das, was nicht so normal ist. Und so kann er überall leben: Im Wasser, auf Land, auf dem Mond – er kann in sehr heißen Regionen und sehr kalten überleben.

Was wenn der Mensch oder seine Vorfahren irgendwann gesagt hätten: Puh, ist das komisch, so unnormal, ich will, dass es wieder normal ist – so wie früher?

Aber was sagen Sie mal ganz grundsätzlich, was normal ist.

Anzunehmende Antworten:

  • das, was die Mehrheit der Menschen in meinem Umfeld für angemessen halten, im Verhalten, im Äußeren oder auch der Sprache, die verwendet wird
  • Das nennt man dann gern eine „Norm“ und dann sind wir gleich beim Normalen

Wir reden im Alltag eigentlich dann erst von normal, wenn etwas abweicht von dem, was wir normal nennen.

Was sagt man nicht vor allem Kindern:

  • Jetzt rede doch endlich normal.
  • Setz doch mal normal hin.
  • Kannst du nicht wie ein normaler Mensch essen?
  • Sei doch einfach mal normal. (Sehr verzweifelt.)

Was meint da normal?

Sei doch mal wie ich!!

Und das ist doch seltsam: Das Normale entsteht erst durch sein Gegenteil. Normal kann man nur etwas nennen, wenn es ein nicht Normales als Gegenüber gibt.

Und scheinbar überwiegt das Nicht-Normale.

Das Nicht Normale scheint also genau so normal zu sein wie das Normale?

Ich will es nicht in die Länge ziehen.

Ihr AbschlussschülerInnen geht heute aus dem Schulhaus und lasst etwas Normales hinter euch – vor euch wird etwas liegen, was, von heute aus gesehen, absolut nicht normal ist, aber werden wird.

Und dann werdet ihr neue Schritte gehen. Ich hoffe für euch, dass ihr das Nicht-Normale begrüßt.

Und mehr noch, dass ihr das Verrückte akzeptiert, und die Verrückten gleich mit, die Bekloppten, von denen man sagt, dass etwas nicht mit ihnen stimmt.

Vor allem hoffe ich, dass ihr niemals Sachen deswegen NICHT macht, weil jemand sagt: Das ist doch nicht normal. Bist du bescheuert?

Sondern dass ihr dann breit lächelnd antwortet: Ja, und?

„…und ich schlurfte ihnen hinterher, wie ich das mein ganzes Leben lang bei Menschen getan habe , die mich interessieren, denn die einzigen Menschen, die mich interessieren, sind die Verrückten, die verrückt leben, verrückt reden, die alles auf einmal wollen, die nie gähnen oder Phrasen dreschen, sondern die brennen, brennen, brennen, wie römische Lichter in der Nacht.“

Jack Kerouac, On The Road