5 Minuten Schulleitung – Neuanfänge, Software und ausnahmsweise habe ich nicht Schuld

Das Schuljahr läuft schon seit einiger Zeit und ich habe noch so richtig keinen Anlass für ein erstes Posting gefunden. Aber irgendwann muss es halt.

Der Start des Schuljahres war in Ordnung, mit nur kleinen Unebenheiten. Ich habe mich, nach einen Rat irgendwo hier in einem Kommentar, für ein neues Stundenplanprogramm entschieden, was mir ziemlich gut gefällt, weil es meinen normalen Softwarenutzungsgewohnheiten am nächsten kommt. Damit verbunden waren allerdings einige Magenschmerzen, weil ich nicht sicher war, ob ich es schaffe, bis zum Stichtag einen Stundenplan herzubekommen: Das Programm musste gelernt werden, die Daten rübergeschaufelt, Eingaben gemacht, Pläne berechnet werden. Alles habe ich in Ruhe in den Ferien gemacht. Und es zeige sich, dass ich mich für eine wirklich intuitive Software entschieden hatte, so dass ich nach einer Woche (Lernen, alle Daten per Hand eingegeben) einen Stundenplan hatte. Der strotzte zwar vor Fehleingaben, aber ich hatte ein Ergebnis. Wunderbar. Mittlerweile jedenfalls läuft das Ding. Zusammen mit Vertretungsplan, Online-Modul und Smartphone-App.

Software in der Schule ist ein spannendes Ding.

Der Notenmanager z.B., eine Erfindung eines bayerischen Realschullehrers, ist ein hervorragendes Stück Software. In den ersten Jahren meines Berufs durfte ich noch mit Ordnern hantieren, mit handschriftlichen Eingaben und einer Software, die scheinbar aus der Frühzeit stammte, um Zeugnisse auf Stein zu meißeln. Der Notenmanager aber ist ein kleines Wunderteil. Er tut, was man ihm sagt und mehr. Noteneingabe funktioniert daheim am Computer. Per Stick trage ich das Ergebnis in die Schule und synchronisiere mit der Schulversion des Programms. Alles wird sauber übertragen, an den richtigen Ort gesetzt. Man kann Zeugnisse damit ausdrucken, die schon das Siegel aufgedruckt bekommen. Ordnungsmaßnahmen lassen sich organisieren (vor dem Zeitalter des Datenschutzes ging es noch einfacher). Klassenleitergeschäfte und Notenkonferenzen sind ein Spaziergang geworden. Es tut eben, was es soll und dies auch noch reibungslos. Man bezahlt einmal und bekommt alle Updates kostenlos.

ESIS ist ein Programm-/Server-Paket, mit dem man Elternbriefe digital versenden kann und in der Lage ist, Elternsprechabende/-tage online zu organisieren. Das bedeutet, dass sich die Eltern über eine internetgestützte Plattform anmelden können und ich/wir von der Schule aus nur noch Besucherlisten ausdrucken und sie aushängen müssen. Die Elternbriefe werden über eine kleine funktionale Oberfläche bearbeitet und versendet. Das Programm an sich ist kostenlos, bezahlt werden muss der Server und die damit zusammenhängenden Jobs.

Dies sind drei Programme, die ich wirklich gern benutze. Dies liegt zum einen an der einfachen Bedienbarkeit, zum anderen an dem unschlagbaren Support. Heute mailte ich Herrn Elsner von ESIS und konnte zehn Minuten später mit ihm telefonieren. Wenn ich Fragen zum Stundenplanprogramm habe, maile ich und bekomme innerhalb von 48 Stunden eine Antwort (auf Englisch – die Firma sitzt in Bratislava). Ebenso einfach beim Notenmanager.

Dann die ASV. Und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die neue Schulverwaltungssoftware, die im letzten Schuljahr eingeführt wurde. Für alle Realschulen, alle Gymnasien. Der Grundgedanke ist eine übergreifende, zentrale Schulverwaltung, auf die alle beteiligten Verwaltungsebenen Zugriff haben. Das Ergebnis ist, mit Verlaub, übel. Ich würde mein Geld zurückverlangen.

—-Einschub—-

Ich verstehe nichts von Programmierung. Ich kenne einige Leute, die sich im Bereich der ASV engagieren und ich schätze sie sehr. Ja, ich weiß, dass eine Software ein komplexe Angelegenheit ist.

—-/Einschub—-

Ich habe im Netz EINEN Artikel gefunden, der die ASV anspricht: Presse. Also sollte ich mich wohl ein wenig zusammenreißen, nun…

Nun, stellen wir uns eine Adress-Software vor, die zur Verwaltung von Hunderten von Adressen gedacht ist und die selbständig, nicht nachvollziehbar, unkontrolliert Daten verändert. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sie sich vorstellen können, wie eine nicht näher vorstellbare Zahl von Menschen an die handgeschriebenen Adressbücher gehen muss, um Daten von Kontakten zu überprüfen, zu ändern und „abzuspeichern“. Um dann am nächsten Tag zu merken, dass einige Änderungen wieder rückgängig gemacht wurden. Und neue hinzugekommen sind, ohne dass ein Protokoll existiert. Stellen Sie sich vor, dass Postleitzahlen verschwinden, Vor- und Nachnamen vertauscht werden. Und stellen sie sich vor, dass sie bei einer Supportanfrage wiederholt zur Antwort bekommen, dass sie ein Einzelfall sind. Stellen sie sich vor, dass diese Software Grundlage ihrer täglichen Arbeit ist.

Gelesen: Herrndorf. Bilder deiner großen Liebe.

Ein krasser Roman im eigentlichen Sinn. Alles, was es über ihn zu berichten gibt, steht ja schon zum Nachlesen bereit.

Und:

Die Literatur hat einen neuen ersten geilen Satz.

„Verrückt sein heißt ja auch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert.“

Und einen Erzähltyp, der mich mit sich gezogen hat (ich habe in einem Zug gelesen, auf dem Sofa liegend, an dem heutigen sonnigen Sonntag, hinter heruntergelassenen Jalousien – nun gut, sonnige Sonntage sind eh nicht so meins), bei dem man nicht wusste, was als nächstes kommt, zu keiner Zeit und der schon so allein atemlos machte. Ein Roman, bei dem das Krasse neben dem anderen (Schönen?) steht. Eine Erzählerin, die scheinbar die Hälfte der Zeit im Delirium spricht, träumt und diese Träume noch modelliert, Tagebuch schreibt, erzählt und mittendrin mit kurzen Nebensätzen weit über sich und den Roman hinausweist.

„Kennst du überhaupt Schriftsteller?“

„Keinen aus der Gegenwart. Nur Klassiker. Ich les nur Klassiker.“

„Ah, die junge Dame hat Geschmack und ist gebildet. Und wen kennen wir da so?

„Alle.“

„Alle. Und wer ist da der Beste? Der Superpromi? Der sexyste Superstar des siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts?“

„Karl. Philipp. Moritz.“

Ob man das Fragmentarische durch den Hintergrund des Romans erklären lässt oder ob es nicht viel mehr genialisches Erzählprinzip, Charakter und Grundlage ist, sei dahingestellt.

Und ja, Tschick und Maik kommen auch drin vor. Als eine „Fortsetzung“ von Tschick sehe ich es aber nicht. Vielmehr eine von den vielen Geschichten, die in Tschick nicht erzählt wurden und die irgendwie fehlen. So wie Herrndorf weiter fehlen wird.

Gelesen: Schuljahr – Der ganz normale Wahnsinn. Erlebnisse eines Schulleiters.

Ulrich Knoll: Schuljahr.

Normal lese ich solche Bücher nicht oder nur ungern. Im Kern nicht mehr als eine Anekdotensammlung, literarisch/erzählerisch wenig anspruchsvoll und, naja, über meinen Beruf brauche ich keine Satire zu lesen – das habe ich täglich, und das ist nicht übertrieben und ohne Lachen gesagt.

Ich habe es dennoch gelesen, als E-Book, weil es natürlich pikant war aus verschiedenen Gründen:

  • der Autor war Schulleiter einer Realschule, die hier in der Nähe liegt
  • einige Kollegen, die beschrieben werden (und nur sehr unzureichend namentlich unkenntlich gemacht), kenne ich persönlich

Knoll unterteilt sein Buch nach den verschiedenen Phasen des Schuljahres, z.B. die Anfangswochen, bis Weihnachten, bis zum Zwischenzeugnis usw. Dabei tauchen verschiedene Lehrerrollentypen auf, die sicherlich so an jeder Schule existieren.

  • diejenigen, die noch vor Beginn der Unterrichtszeit auftauchen und bei den Stundenplanmachern herumlungern, um den Machern einige Vorteile im Plan herauszuholen und vor allem ihnen die Zeit zu stehlen
  • diejenigen, die immer jammern und der Meinung sind, dass auf ihren schultern alles ruht und sie alles zu stemmen haben, obwohl sie doch so angeschlagen sind
  • die eifrigen, die faulen, die unfähigen Lehrer

Kenn ich alles. Spannend ist es also nicht wirklich. Ich hatte gedacht/gehofft/gefürchtet, dass das Buch böse würde, aber das war es nicht. Dennoch grundsätzlich kathartisch. Ich habe heute in einer zehnten Klasse die Frage durchdenken lassen, warum wir (Menschen) überhaupt Geschichten erzählen und, noch viel wichtiger, Geschichten lesen, die andere erzählen. Und natürlich war einer der Punkte, dass es entlastet, und zwar das Schreiben und das Lesen. Entsprechend sehe ich die Lektüre. Neben dem schon beschriebenen Voyeurismus.

Ich vermute allerdings, dass viele Geschichten des Buches über die bayerischen Grenzen hinaus nicht nachvollziehbar sind, weil einige der krassesten Anekdoten eben gebunden sind an die Hauptpersonen und an ihren Charakter, abhängig von der hiesigen Schulhierarchie. Da mag man in Niedersachsen nicht ganz den Witz erkennen.

Apropos Witz. Ein (mittlerweile pensionierter) Amtsinhaber einer mir vorgesetzten, mittleren Schulbehörde der Realschule hat schon mal Einzug gehalten in die Literaturgeschichte, angeblich, und zwar als Dietmar Lodenbacher in den Allgäuer Kluftinger-Krimis (Einer der Autoren war selbst Realschullehrer in Bayern). Sein realer Nachfolger taucht in diesem Buch hier auf.

Angesichts einiger, dieser Umstände im Buch, so dachte ich bei mir, muss ich wohl bis zu meiner Pensionierung warten, bis ich nicht mehr wegen meiner unbedeutenden, begrenzten Meinungsäußerungen hier im Blog vor Vorgesetzte zitiert werde, weil oberschlaue Hochgebildete kein Problem darin sehen, über den Dienstweg unpassende Meinungen beiseite zu schaffen, die ihrem Selbstbild nicht entsprechen. Dann also offensichtlich ist alles möglich.

Jenseits von allem also immer Hoffnung.

Facebook und die literarische Charakterisierung

Stundeneinstiege sind noch nie meine Stärke gewesen. Oft gehts mir so: Die Stunde steht einigermaßen und dann denke ich tagelang über einen Einstieg nach. Der wird dann krampfig. Oder noch besser: Es fällt mir erst nach der Stunde was ein. Jedenfalls ist das für mich immer Pareto: Die 80/20 Regel  (80% des Arbeitserfolgs in 20% der Zeit), die eben darauf hinausläuft für 20% (=Einstieg) noch mal 80% Zeit draufzulegen. Ich würde gern 80/20 arbeiten…klappt selten, aber das erwähnte ich schon.

Letzte Woche aber für mich ein kleines Highlight erlebt. 5 Minuten vor der Stunde zum Thema „Eine literarische Figur charakterisieren“ die Idee gehabt, mit einem Facebook-Profil einzusteigen, welches ich schnell aus dem Internet geholt habe.

Also die Frage zu Beginn: Wenn ihr ein neues Profil von jemandem betrachtet – was schaut ihr euch in welcher Reihenfolge an? Warum?

In zumindestens zwei Klassen dieselben Antworten:

  1. Profilbilder: Um zu sehen, wie derjenige aussieht und sich zu vergewissern, dass er/sie auf der ist, den man adden wollte, bzw. der/die ist, die er/sie vorgibt zu sein.
  2. Infoseite: Um die wesentlichen Daten über denjenigen/diejenige zu erfahren.
  3. Postings: Um herauszufinden, was derjenige/diejenige mag an Musik, Filmen, Büchern etc., wo er Bemerkungen oder Likes hinterlässt
  4. Freunde / Postings von Freunden: Denn: Sag mir, wer dein Freund bist und ich sag dir, wer du bist (Zitat aus dem Unterricht).

Und schon die vier wesentlichen Aspekte der literarischen Charakterisierung:

  • Aussehen, Erscheinungsbild, Auftreten
  • Wesentliche Informationen wie Alter, Beziehungsstatus, Ausbildung
  • Einstellungen, Vorlieben und Äußerungen über sich selbst
  • Äußerungen von anderen Figuren über die Figur, bzw. Beziehungen zu anderen Figuren, soziales Umfeld

Dabei überraschend im Unterricht, dass sich automatisch auch ergab, dass dem, der dieses Profil angelegt hat, nicht immer zu trauen ist, denn er stellt sich natürlich in einer bestimmten Absicht so dar.

Und schon waren wir beim Problem des Ich-Erzählers und der Erzählperspektive. Denn bei allen Antworten schwang mit, dass man die Profile anderer Leute in Facebook immer schon mit dem Hintergedanken liest, dass der Urheber geschönt hat oder sich eben in einem bestimmten Licht darstellen möchte. Und so produziert und rezipiert man mit dem Facebookprofil eben auch eine (künstliche-literarische?) Figur.

Also: Wem trauen wir wirklich beim Erzählen?

Teachsam – Literarische Charakteristik

Fachdidaktik Einecke – Literarische Charakteristik